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Wer zahlt, der zählt

■ Beim interaktiven Pay-TV wird der Zuschauer wieder zum Wirtschaftsfaktor

Seit es das private Fernsehen gibt, ist dort der Kunde König. Kunde ist in der Marktwirtschaft allerdings derjenige, der zahlt – und das ist von Sat.1 bis RTL nicht das Publikum. Könige sind vielmehr die Unternehmen, die uns mit ihren zahllosen Werbespots zuschütten. Und die Zuschauer? Sie sind in diesem System eigentlich nur als Zahl interessant: 1.000 Zuschauer bis 49 Jahre bringen beim ZDF 58,68 Mark, sind sie älter, ist es nur noch ein Drittel. Und so sollten die Feuerwerke, die Sat.1 und RTL seit letztem Wochenende auf der Funkausstellung abgebrannt haben, all die Präsentationen ihrer alten Stars und neuen Shows, in erster Linie die Werbebranche beeindrucken: Alle haben sie die Spotpreise angehoben und müssen versprechen, daß ihre Zuschauerzahlen noch (wieder?) zunehmen.

Ab nächstem Jahr erwartet uns nun eine neue Generation von Sendern, bei der wir Zuschauer endlich König sein werden – das digitale Pay-TV. Da wird dann, so meint etwa Ferdinand Kayser, Chef des RTL-Gesellschafters CLT in Deutschland, „Marketing eine größere Rolle“ spielen als bisher. Die einfühlsame Werbung um unser Geld beginnt schon bei der Wortwahl: War bisher von Programm„paketen“ die Rede, die zum Abonnieren angeboten werden sollen – mit Musik-, Kinder-, Spielfilm- und anderen Kanälen –, so werden wir künftig die Wahl zwischen „Bouquets“ haben.

Tatsächlich müssen die Sträuße schon extrem bunt und prächtig sein, damit sich das Geschäft lohnt. Die erste Frühlingsblume des Pay-TV namens Premiere schätzt zum Beispiel, daß in den Digitalmarkt in den nächsten zehn Jahren 6,7 Milliarden Mark investiert werden müssen. Zwei Drittel davon für die Technik (von Kabelnetzen bis zu Decodern), der Rest für Programm und Marketing. Ob solche Riesensummen wieder hereinkommen? Schließlich haben interaktive Pilotprojekte zuweilen Mühe, auch nur genügend Haushalte als Versuchskaninchen aufzutreiben.

Auf dem Medienforum der Funkausstellung weissagte Premiere-Chef Bernd Kundrun denn auch: „Viele werden ihr blaues Wunder erleben“ und meinte damit Unternehmen, die sich heute verschulden, in der Hoffnung auf die satten Gewinne von morgen. Auch RTL-Chef Helmut Thoma zweifelt an einer „Revolution“ für die Zuschauer. Dafür müßte beim Homeshopping, höhnte er, die Waschmaschine statt über die Treppe schon durchs Kabel geliefert werden. Interaktiv sei doch schon die Fernbedienung: „Noch aktiver will ich gar nicht sein.“

Nun werden nicht alle so denken. Premiere (910.000 Abonnenten) rechnet damit, daß in zehn Jahren insgesamt 4 Millionen Haushalte für digitale Fernsehabos zahlen – und zwar im Durchschnitt 800 Mark pro Jahr. Die großen Medienfirmen haben sich jedenfalls alle entschlossen, jetzt möglichst rasch „ihre Claims abzustecken“ (Kundrun). Leo Kirch, der mit großem Getöse 1 Million Decoder für das Frühjahr bestellt hat, ist dabei nicht mal der Schnellste: Sein Geschäftspartner, der Südafrikaner Johann Rupert, hat für seine 950.000 Pay-TV-Abonnenten in ganz Afrika Geräte in Auftrag gegeben, die noch diesen Monat ausgeliefert werden sollen. Mit immerhin 16 digitalen Programmen will die Rupert-Firma „Nethold“ dann starten. Und der französische Canal plus will noch vor Jahresende damit beginnen, seine rund vier Millionen Abonnenten zu versorgen. Die ersten 175.000 Decoder sollen im November geliefert werden, drei bis fünf Programme noch 1995 starten.

In Deutschland sitzt vor allem Premiere auf heißen Kohlen. Der Hamburger Sender kündigt auf der Funkausstellung groß sein Digitalfernsehen an – mit Multiplexing (der zeitversetzten Ausstrahlung seiner Sendungen auf verschiedenen Kanälen), Spartenkanälen und Pay-per-View, wo für einzelne Topfilme oder Sportereignisse extra gezahlt werden darf – oder besser: muß. Doch kann Premiere seinen Abonnenten noch gar nichts Konkretes versprechen. Dummerweise müssen sich noch seine Gesellschafter einigen, die jeweils unterschiedliche Decodierungssysteme entwickelt haben: Bertelsmann und Canal plus (75 Prozent Anteil) auf der einen, Leo Kirch mit 25 Prozent auf der anderen Seite. Nachdem Kirch mit besseren technischen Möglichkeiten bei der Computeranbindung und größerer Softwareflexibilität (sogenannte „flash memories“) geprahlt hat, ist die Konkurrenz in Zugzwang geraten, die sich gerade in einer „Multimedia-Betriebsgesellschaft“ (MMBG) zusammenschließt, unter anderem mit ARD, ZDF und der Deutschen Telekom. Sie tönt zwar, der Kirch-Decoder werde für die Zuschauer zu teuer (1.200 bis 1.500 Mark) und will „auf jeden Fall unter 1.000 Mark“ bleiben. Doch gleichzeitig läßt sie den technischen Standard noch einmal hochschrauben, damit Kirch auf der Premiere-Gesellschafterversammlung am 12. September nicht das attraktivere Modell hat.

Ob unter oder über 1.000 Mark – vermutlich wird es ohnehin zur Regel, daß der Decoder mit den Programm-„Bouquets“ vermietet wird. Für die MMBG hat das der Telekom-Manager Peter Kahl schon angekündigt („zu einem sehr attraktiven Preis“). Bei den Premiere-Kunden wird der digitale Decoder – egal, welches Modell–, sogar im bisherigen Abopreis von 44,50 Mark enthalten sein. Vorläufig werden also die Unternehmen die Markteinführung des Gerätes subventionieren müssen.

Wenn es aber später einmal Digital-Geld zu verdienen gibt, möchte auch die Telekom dabeisein, die jetzt in den Ausbau der Glasfasernetze viel investieren muß. Deshalb hat sie auf der IFA schon mal angekündigt, sie wolle künftig „bestimmen, welche Programme ins Netz kommen“ (Kahl). Solche Angebote nämlich, für die das Publikum auch gutes Geld zahlt – von dem die Telekom dann ihr Scherflein abzweigen will. Michael Rediske

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