: Geradezu eine Verleugnung
■ betr.: „Wende im Balkankrieg“, taz vom 18.8.1995
Bisher wurden wir in der taz von Zumach aus Genf und, v.a., von Rathfelder aus dem Kriegsgebiet selbst hervorragend informiert. Jetzt, wo die Serben militärisch in der Defensive sind und sie ihre Blutspur nicht mehr ganz so hemmungslos – aber weiterhin von der internationalen Gemeinschaft so blamabel toleriert – für ihr Groß- Serbien durch das Territorium Ex- Jugoslawiens ziehen können, entdeckt Baltissen die Kroaten als Risikofaktor: Tudjman ist kein lupenreiner Demokrat (wer hat dies je so geglaubt?), die kroatische Armee läßt Dubrovnik nicht mehr ungestraft von den bosnischen Serben beschießen, in Ostslawonien (es ist von Serben besetztes kroatisches Territorium!) „übt“ sie den Artilleriebeschuß. Schließlich stehe sie in Bosnien „als Eingreifreserve Gewehr bei Fuß“. Verstehe das, wer und wie er will.
Die Kroaten haben sich nach vier Jahren Annexion und Vertreibung (auch Hunderttausender Kroaten aus der Krajina und Ostslawonien) bis zum Genozid durch die Serben und bosnischen Serben in Ex-Jugoslawien in wenigen Tagen einen Teil ihres Gebietes wiedergeholt. Sie machten die, wie damals gegenüber Hitler, immer mehr und neue Opfer fordernde Beschwichtigungspolitik nicht mehr mit. Weshalb sollten sie jetzt plötzlich irgend welchen neuen Friedensplänen Vertrauen schenken, wo die bisherigen immer nur neue Greuel ermöglicht haben? Was sollen Dubrovniks Bürger von „Mäßigung“ halten, wenn sie von serbischen Granaten beschossen werden?
Daß die internationale Gemeinschaft künftig häufiger bei Kroatien als bei Serbien auf Granit beißen wird, ist ahistorisch, pure Spekulation und auch geradezu eine Verleugnung des serbischen realen Verhaltens – die momentan z.B. Kroaten und Muslime aus ihren Häusern in Bosnien vertreiben oder, in Serbien selbst, die krajinischen Flüchtlinge in den Kosovo zwingen und damit die nächste ethnische „Bereinigung“ einleiten. Joachim Burkart, Berlin
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