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Nicht mal Verstopfung

■ Schmerzkongreß: Morphium könnte auch manchen Migränekranken helfen

Ingrid Kording ist das beste Beispiel: Lebhaft nahm sie gestern teil an der Pressekonferenz zur Eröffnung des achten Internationalen Symposiums über Schmerzdiagnostik und -therapie im Park Hotel. Keine Spur von Schläfrigkeit. Dabei steht Ingrid Kording unter Morphium. Seit bald zwei Jahren. Zuvor war sie von Arzt zu Ärztin gerannt mit ihren schweren Migräneanfällen und den chronischen Nervenschmerzen im ganzen Körper. „Und jetzt sind Sie schmerzfrei?“ fragten die JournalistInnen. „Ja“, sagte die Frau und lächelte übers ganze Gesicht, „und ich habe absolut keine Nebenwirkungen“. Nicht mal Verstopfung.

Daß Morphium zur Schmerzlinderung bei Krebskranken eingesetzt wird, hat sich mittlerweile durchgesetzt. Doch daß Morphium auch anderen chronisch Kranken helfen könnte, etwa manchen Arthrose-, Bandscheiben- oder Migränekranken – das ist in der Ärzteschaft noch immer ein Tabu. „Wir predigen den Hausärzten seit 30 Jahren, ziehen über die Dörfer – es hat einfach keinen Sinn! Im Saarland zum Beispiel soll es gerade drei niedergelassene Ärzte geben, die Opiate verschreiben“, schimpft Imar Jurna, Direktor des Institus für Pharmakologie und Toxikologie der saarländischen Uni in Homburg. Das grenze schon an unterlassene Hilfeleistung.

Morphium macht süchtig – dieses Vorurteil, so Imar Jurna, sei aus Kollegenköpfen einfach nicht rauszukriegen. Deshalb verschrieben sie Morphium nur Todgeweihten. „Aber eine richtige Dosierung von Morphium macht psychisch nicht abhängig.“ Durch eine regelmäßige Einnahme von Opioiden werde eine Sucht zuverlässig verhindert, so die ExpertInnen, da die Konzentration der Opioide im Gehirn immer gleich bleibe und das drogenerzeugte Glücksgefühl gar nicht erst eintrete. Der Körper halte bei gleichmäßiger Konzentration die Opioide für das körpereigene „Schmerzmittel“ Endorphin und velange nicht nach mehr. Nur wenn Schmerzmittel unterdosiert und zu spät eingenommen werden, wenn der Körper also bereits wieder dringend nach Schmerzlinderung verlange, werde eine Medikamentensucht regelrecht gelernt.

Warum so wenige ÄrztInnen Morphium-Derivate verschreiben, darüber gibt es verschiedene Hypothesen. Liegt es an der deutschen Sucht-Hysterie? In Dänemark und Österreich nämlich schreiben, trotz ähnlich restriktiver Betäubungsmittelgesetzgebung, mehr HausärztInnen Morphiumrezepte aus als hierzulande. Oder liegt es an der mangelnden Ausbildung in Schmerztherapie? Schließlich wurde erst vor anderthalb Jahren ein Lehrstuhl für Schmerzwissenschaft (in Göttingen) eingerichtet.

Rund sieben Millionen Menschen in Deutschland, schätzt Schmerzspezialist Gholan Sehhati-Chafai vom Roten-Kreuz-Krankenhaus Bremen, leiden unter chronischen Schmerzen. Etwa 600.000 davon sind TumorpatientInnen, fast alle diese Krebskranken werden mit Opioiden behandelt. Doch auch rund 20-30 Prozent der anderen Schmerzkranken könnte mit Morphium geholfen werden, meint Imar Jurna.

Rund 220 Schmerzambulanzen gibt es bereits in Deutschland – die erste wurde 1970 in Mainz eröffnet. Notwendig jedoch wären mindestens 1.500. Was Unterversorgung von Schmerzkranken bedeutet, machte Ingrid Kording vom Verein „Hilfe für medikamentös abhängige Schmerzkranke“ deutlich: „Jährlich nehmen sich etwa 1.000 Menschen wegen Schmerzen das Leben.“ cis

Für Laien: Am Sonntag bietet der Schmerzkongreß von 10-15 Uhr im Park Hotel einen „Patienteninformationstag“. SchmerzexpertInnen bieten Rat zu unzähligen Themen, etwa Naturheilverfahren, Tumorschmerz, Rheuma, Mirgäne usw. Außerdem kann man bei der Ausstellung der Phrama-Industrie (die den Kongreß sponsern) auch relativ unabhängige Infomaterial mitnehmen – zum Beispiel den „Kieler Kopfschmerzkalender“.

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