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Einmal von Paris nach Peking

Wie aus der Idee für einen Sonderzug zur Weltfrauenkonferenz eine nicht ganz normale Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn wurde  ■ Eine Reisebericht von Karin Gabbert

Unser Zug hält auf dem Bahnhof von Kirow. Wir werden erwartet. Eine Blaskapelle spielt auf. Frauen recken sich zu den Fenstern hoch und machen uns Geschenke. Ansichtskarten von Kirow, Anstecker, Gladiolen aus ihren Gärten und Brot und Salz.

Eine Viertelstunde haben wir Zeit. Ein Mann auf dem Bahnsteig übersetzt die wenigen Worte ins Englische, die zwischen den Russinnen draußen und den Frauen an den Zugfenstern gewechselt werden. Eine Alte drängt sich vor: „Viel Spaß im Kampf für Frauenrechte und gegen die Männer“, hören wir aus dem Mund ihres hilfsbereiten Landsmannes. Dann schweigt er und weigert sich brüsk, diesem Treiben weiter zu Diensten zu sein.

Perm, Omsk, Nowossibirsk, Irkutsk – von jetzt an werden auf allen Haltebahnhöfen des Frauenzugs bis zur mongolischen Grenze Musikgruppen, Frauen und BürgermeisterInnen stehen. Und ihre Schilder „Das 21. Jahrhundert gehört uns“ oder „Viel Erfolg auf der Weltfrauenkonferenz“, mit denen sie uns begrüßen, werden anschließend an den Zugfenstern befestigt und künden sibirischen Birkenwäldern und den Nomaden in der mongolischen Steppe von der transsibirischen Frauenroute zur Konferenz. 150 Frauen fahren mit, fünf Russinnen, zwei Polinnen, Europäerinnen, viele Deutsche, einige aus den USA.

Eine 29jährige Französin, Maya Salvado Ferrer, hatte die Idee, mit einem Sonderzug zur Weltfrauenkonferenz nach Peking zu fahren: 9.000 Kilometer von Paris bis in die chinesische Hauptstadt. In Brüssel, Berlin, Warschau sollten die Frauen zusteigen. Von Moskau bis zur chinesischen Grenze, so Mayas Traum, sollte dann Ruhe sein für „transsibirischen Dialoge“.

Maya Salvado Ferrer trägt eine Weste mit vielen Taschen und Reißverschlüssen, derbe Schuhe und silberne Armreifen. Wenn sie nicht Züge organisiert, arbeitet sie als Bildhauerin. Die Transsibirische ist sie schon einmal gefahren – in anderer Richtung. Das war 1989. Nachdem sie ein Jahr in Taiwan studiert hatte, reiste sie durch China.

Dann kam das Massaker von Tiannamen. Maya kaufte sich auf dem Schwarzmarkt eine Bahnfahrkarte nach Paris und fuhr zurück. „Als Kind hatte ich über meinem Bett ein Poster von Mao hängen“, erzählt sie. Es war von ihrer Mutter, einer Feministin. „Irgendwas von beidem muß bei mir hängengeblieben sein.“ Maya grinst: „Was lag da näher, als einen Frauenzug nach Peking zu organisieren?“

Aber es gibt einfachere Jobs in Paris. Irgendwann wurde Maya von einer alten französischen Feministin zum Essen eingeladen. „Als der Zeitpunkt kam, an dem du dummes Zeug reden kannst, erzählte ich von dem Zug.“ Die Gastgeberin sagte einfach: „Das ist eine gute Idee.“ Seither arbeitete Maya Salvado Ferrer an nichts anderem. „Ich bin überall betteln gegangen“, zunächst ohne Erfolg. Schließlich gaben das französische Frauenministerium und Cartier Geld, und Maya gründete den Verein „Femmes en Train pour Peking“.

Sie plante Workshops im Zug, dachte an eine kleine Bibliothek mit feministischer Literatur, an ein Computertraining. Die Geschichten aus dem Zug sollten ins weltweite Internet geschickt werden. „Ich schlafe wenig und habe viele Ideen“, sagt Maya. Doch ob der Zug tatsächlich starten würde, war bis zuletzt unsicher. Geldmangel und organisatorisches Chaos schienen übermächtig.

Als wir in Berlin gestartet waren, hatten wir vor allem das zu spüren bekommen: Erst kurz vor der Abfahrt erhielten die letzten Frauen ihr Visum. Die Fahrkarten waren nicht fertig. Einer 84jährigen wird vorgehalten, sie habe die Reise nicht bezahlt. Sie ist die Frau eines Fischers in Südfrankreich und hat eine Gruppe gegründet, die „Pensionen für Fischersfrauen“ fordert. Die will sie auf der Konferenz vorstellen und „Fischersfrauen aus der ganzen Welt kennenlernen“. Die Alte bezahlt den Fahrpreis noch einmal und fühlt sich tief gedemütigt. Zwei Tage lang redet sie mit niemandem. „Wir sind Arbeiterinnen und haben jeden Pfennig zusammengekratzt. Aber wir haben bezahlt. Das hier macht uns traurig.“ Nur wenige verstehen sie.

Frauen aus Afrika sind gar nicht im Zug. Die Entwicklungsorganisation der UNO, UNDP, hatte zugesagt, die Reisekosten für 100 osteuropäische Frauen zu tragen. Dann aber gefiel den UN-Leuten Mayas Idee so gut, daß sie selbst einen Zug organisierten. Der fährt nun einen halben Tag vor dem Frauenzug und zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Polinnen und Russinnen sitzen im UN-Zug: „Ein Sinnbild für das Verhältnis zwischen den Riesenapparaten und unabhängigen Gruppen“, sagt Maya.

Sie sitzt erschöpft im letzten Waggon. Seit Moskau besteht der Zug aus fünf Schlaf- und zwei Restaurantwagen und dem sogenannten Konferenzwaggon. Der Waggon des männlichen Zugpersonals wird zwischendurch umgehängt, nach vorn, hinter die Lok. Sofort verlangen ein paar Frauen, auch die Restaurantwagen umzukoppeln, damit die Nichtraucherinnen nicht mehr durch die Rauchschwaden laufen müssen. So geht es mit vielem, selbst mit der Frage, welche Uhrzeit auf der Reise durch die Zeitzonen nach Osten gelten soll: „Wir reden nur über die Organisation“, maulen viele Frauen – und ändern nichts.

Manche wollen arbeiten, andere einfach die Reise genießen. Bücher, Workshops, Computer? Nur Mayas Traum? Selten sitzen die Frauen in größeren Gruppen zusammen und diskutieren ein Thema, das Übersetzen ist mühsam. Aber dennoch wird viel geredet, es wird viel gegessen und viel schwarzer Tee vom Samowar, den es in jedem Waggon gibt, geholt. Es geht auch nicht anders: Die Schlafabteile sind eng, je vier Frauen teilen sich eins.

In Sibirien ist Erntezeit, Stoppelfelder und Dörfer lockern die unvermeidliche Birkenkulisse auf, eine Spätsommerlandschaft in gelbem Sonnenlicht. Maya Salvado Ferrer erwartet nicht viel von der Weltfrauenkonferenz. Andere glauben schon von einem Erfolg sprechen zu können, wenn Rückschritte für Frauen verhindert werden. Ein gemeinsames Ziel gibt es offenbar nicht. Einige Frauen, wie die alte Französin von der Mittelmeerküste, wollen ihr Projekt vorstellen, andere Frauen aus aller Welt kennenlernen, einige wollen um das Abschlußdokument der Regierungen streiten, andere kennen es überhaupt nicht, und die dritten finden es überflüssig.

Manche leben nach Moskauer Zeit, andere stellen die Uhren ständig vor. Einmal feiern einige Frauen ein Fest, tanzen die Nacht durch bis zum Halt auf irgendeinem sibirischen Bahnhof. Für andere ist es gerade Morgen, sie stolpern in Schlafanzügen aus ihren Abteilen. Am erstauntesten sind die Russinnen von den Empfangskomitees auf dem Bahnsteig: Draußen ist Mittag.

Drei Filmstudentinnen drehen einen Dokumentarfilm über die Reise. „Lesbians Straight to Beijing“, das ist ihr Slogan für die Weltfrauenkonferenz, den sie auf T-Shirts sprühen: „Der Zug ist wie ein Experiment für eine Frauengesellschaft – oder wie eine Miniatur des NGO-Forums der Weltfrauenkonferenz“, glauben sie.

Er ist es wohl nicht. Es ist eine Mischung aus dem Wunsch, einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn gefahren zu sein. Der Erfahrung, neun Tage mit 150 Frauen in acht Zugwaggons zu verbringen. An einem frühen, nebligen Morgen den Baikalsee zu passieren. Eine Japanerin ist aus Tokio nach Paris geflogen, um mit diesem Frauenzug fahren zu können. Und obgleich die Reise wohl für alle etwas Ernüchterndes hat, bildet sich doch eine angenehme Gemeinschaft.

Es ist dunkel, als der Zug in Erlian an der chinesischen Grenze hält. Auf dem Bahnsteig gegenüber steht der chinesische Zwillingszug. Seit sechs Tagen sind wir nun unterwegs. Einigen ist noch schwindelig, als unser Zug längst stillsteht. Von draußen dringt würzige Luft herein, sie riecht nach Koreander und Eukalyptus. Über das Dach des anderen Zuges ragt der Turm des Bahnhofs, an dem Lichterketten blinken, aus dem Lautsprecher dröhnt Musik. Die chinesischen Beamtinnen sprechen Englisch und Deutsch und bringen Formulare mit, die extra für die Weltfrauenkonferenz vorbereitet wurden. Es dauert Stunden, bis wir weiterfahren.

Nun fehlen uns die rot-goldenen Vorhänge, die Tischspringbrunnen und siebzehn Sorten Wodka. Es fehlt die russische Crew, und vor allem fehlen die Geschichten der letzten sechs Tage. Der leere russische Zug steht auf einmal so verloren da wie der Koch ohne seine Schürze, der uns versorgt hat. Er winkt vom Bahnsteig, und die Frauen rufen die paar russischen Wörter, die sie unterwegs gelernt haben.

Am Dienstag, den 29. August, kommen wir in Peking an. Der Empfang ist grell, straff und bestürzend. Zehnjährige Kinder, einheitlich in weiß und rosa gekleidet, schlagen Trommeln und schwingen Blumensträuße. Wir werden zu den Bussen geschleust. Erst auf der leeren, mit bunten Wimpeln geflaggten Straße, merken wir, daß der gesamte Bahnhof und die Straße abgesperrt worden ist. Maya Salvado Ferrers Frauenzug zur Weltfrauenkongerenz ist angekommen.

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