piwik no script img

Wir lagen vor Mururoa und hatten Protest an Bord

■ O-Ton: Pressemitteilung „Wut im Bauch und Maschinenschaden“ von Reinhard Schultz, Mururoafahrer

„Wir sind inzwischen den dritten Tag auf hoher See auf dem Weg nach Mururoa. Die MV Kaunitoni ist ein mehrfach umgebautes über 30 Jahre altes Küstenfrachtschiff, dessen Frachtraum zum Schlafsaal umgebaut wurde. Der Gesamtzustand hat wenig Luxuriöses: Wir können uns aussuchen, ob wir auf Öl, Wasser oder Stoffwechselprodukten ausrutschen. Von Pazifik-Kreuzfahrromantik keine Spur.

Die Veranstaltung und ihre Vertreter an Bord sind geradezu liebevoll und betonen immer wieder, wie sehr sie in ihrem Kampf um einen atomwaffenfreien Pazifik auf Unterstützung aus Europa angewiesen sind.

Senatorin Adi Finau erweist sich als mütterliche, unumstrittene Autorität, die die politische Diskussionen ebenso sicher führt, wie sie ihre Leute motivieren konnte, das Schiff in Eigenhilfe in zehn Tagen halbwegs bewohnbar zu machen.

Mit meinem Satellitentelefon entwickle ich mich zur einzigen – fast immer – funktionierenden Kommunikationseinrichtung, zwischen Schiff und Außenwelt. Auf dem Oberdeck habe ich decksseitig mit dem Schiffszimmermann einen provisorischen Arbeitsplatz gebaut, über den wir zu vielen Zeitungen und Rundfunkstationen für die anderen Teilnehmer und für mich die Verbindung halten, Nachrichten verbreiten, Wünsche koordinieren. Die ständige Verbindung mit dem Bonner Büro und der ,Mururoa-Hotline‘ hilft uns, die von der Außenwelt oft Abgeschlossenen, die Nachrichtenlage zu klären oder aber, einen Antrag z.B. an den französischen Hochkommissar zu stellen, das Testgelände auf Mururoa friedlich betreten zu dürfen. Mal sehen, ob das klappt.

Ich schlafe – entgegen der ausdrücklichen Absicht – an Deck neben dem Telefon, weil die Hauptarbeitszeit deutscher Redaktionen und Behörden in die pazifische Nacht fällt. Nachdem ich die erste Nacht auf einer Pumpenkiste von 1,50 Meter Länge verbracht und in der zweiten Nacht am Boden durch einen plötzlich hereinbrechenden Sturm in einer Minute völlig aufgeweicht war und einen Kabelbrand löschen mußte, haben mir meine Gastgeber heute eine Art Hochbett auf Deck, das einigermaßen wasser- und windgeschützt ist, gebaut.

Kommunikation ist auf einer solchen Fahrt einfach alles.

Heute Nacht stand der Dieselmotor unseres Schiffes plötzlich still. Keine Treibstoffzufuhr mehr. Schaden an der Dieselpumpe. Unruhe kam auf, die sich aber schnell legte. Nach 12 Stunden war der Schaden einigermaßen behoben, auch wenn die Maschine von Zeit zu Zeit immer wieder stottert und stinkt. Wir versuchen die Zeit wieder aufzuholen.

Unklar ist, ob die Franzosen ihren ersten Test am Freitag oder am Samstag durchführen oder aber doch verschieben. Die französische Marine setzt die Greenpeace- Schiffe erheblich unter Druck. Wir haben das bei unserer ersten gemeinsamen Funkübung für die gesamte Friedensflotte sehr authentisch mithören können, obwohl wir noch weit entfernt waren.

Der Widerstand gegen die Atomversuche im Pazifik wächst. Die Nachricht über den Sturm von 40 Frauen auf die französische Verwaltungszentrale in Papeete auf Tahiti wird gerade von den Fiji- Frauen an Bord mit Jubel aufgenommen. Die Mitteilung, daß die Beluga-Flottille auf der Seine nicht in die Pariser City darf, und die abschließende Demonstration verboten wird, ruft bei allen Teilnehmern wütende Proteste hervor.

Die Stimmung gegen Frankreich ist auf dem Tiefpunkt. Die Wut im Bauch wächst. Eben ruft mich eine mir unbekannte amerikanische Presseagentur aus Tokio an, fragt in ziemlich gebrochenem Englisch, ob die Kaunitoni in die 12-Meilen-Zone eindringen wolle, ob einige ihrer Passagiere dies vorhaben und wenn, wer. Viele Grüße an Frankreich. Entschärft Chirac.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen