piwik no script img

Der Bazillus des Nationalsozialismus

■ betr.: „Ethnische Trennung“, taz vom 30. 08. 1995

Jetzt ist die Katze endlich aus dem Sack: In den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ – einer gemeinhin als links eingestuften Zeitung, kann Herr Rondholz offen für eine Politik der ethnischen Trennung plädieren.

Bisher konnte man davon ausgehen, daß sich die Linke gegen Nationalsozialismus und Rassismus ausspricht – aber offenbar ändern sich die Zeiten.

Das Muster ist nicht ganz unbekannt: Wir wissen es ja schon lange, daß die da unten auf dem Balkan sich seit Jahrhunderten die Köppe einschlagen – dann muß man sie denn in Gottes Namen trennen und neue Zäune ziehen. Was zählt es da, daß die Menschen aus Bosnien gerade uns aus der westlichen Welt, die wir unsere Diplomatie schon viel zu lange ethnische Trennungspläne verfolgen lassen, fragen, wo denn bitteschön all die hingehen sollen, die nicht in „ethnisch reinen“ Familien leben? Soll die orthodoxe Großmutter in einen, der katholische Schwager in den nächsten, die Moslems in den dritten und die „Gemischten“ in den vierten Käfig gesteckt werden? Ganz zu schweigen von Juden, Sinti oder anderen Minderheiten? Vielleicht darf Herr Rondholz daran erinnert werden, daß es in Bosnien 30 Prozent Mischehen gibt!

Möchte Herr Rondholz bitte auch nochmal genauer erklären, an was für Ethnien er in Bosnien überhaupt denkt? Gibt es dort die langnasigen Orthodoxen, die nun Serben sind, die rundköpfigen Katholiken, Kroaten also und, ja, die Moslems mit dem wilden Blick?

1. Es geht nicht um einen Religionskrieg, es geht nicht um „Ethnien“ – es geht um eine gewalttätige, machtsüchtige Clique, die sich den Nationalsozialismus zu eigen gemacht hat, um den eigenen Herrschaftsbereich auszudehnen. Und weil so lange zugeschaut worden ist, weil man dem Wüten nicht entgegengetreten ist, weil man den Menschen, die nie an eine Zuordnung dachten, immer wieder eingebleut hat, daß sie sich definieren müssen, greift der Bazillus des Nationalsozialismus immer weiter um sich. Self-fulfilling-prophecy läßt grüßen.

2. Es müssen also neue Grenzen gezogen werden – recht so. Hat Herr Rondholz bitte schön schon seinen Stift bereit, um die KosovoAlbaner endlich zu ihrem Mutterland heimkehren zu lassen, um den Voivodina-Ungarn den Weg heim in die „Mutternation“ zu eröffnen, um für die Minderheiten in Bulgarien, Rumänien und anderswo notfalls neue Staaten zu schaffen oder sie zurück in ihr „Ursprungsland“ zu bringen? Ganz zu schweigen von den italienischen Faschisten, die bereits über Triest hinaus nach ihren ehemaligen Gebieten in Kroatien schielen?

3. Ethnische Trennung ist ein wunderbarer Begriff. Klingt ziemlich sauber. Ich sehe schon vor mir weißgekleidete UN-Beauftragte mit dem roten Kreuz am Arm, die die Menschen in geordneten Bahnen aus ihren Häusern geleiten. Winkende Arme aus blankgeputzten Bussen, die mit Freude ihrem neuen Heimatland entgegenfahren! Die Menschen aus Prijedor, Banja Luka, Srebrenica, Goražde, Knin und anderen Orten werden natürlich die Notwendigkeit solcher chirurgischen Eingriffe einsehen und ihre Heimat ohne Widerstand verlassen. [...]

3. Und wie wird es bei uns in Deutschland? Wann werden wir zusammen mit deutschen Nationalisten darüber nachdenken müssen, daß 7 Millionen Ausländer in unserem Land wirklich ein Problem sind, daß man die Türken und Kurden doch trennen muß? Sollen wir in unseren Großstädten nationale Quartiere einrichten und auch dort Zäune ziehen?

Lechts und rinks verwechsel nicht – wie erschreckend weise war Ernst Jandl, als er diesen dadaistischen Reim dichtete. Wenn die Linke nun nationalistische „Realitäten“ anerkennt und umsetzen hilft, dann können wir ja gleich mit den Rechten Politik machen. Marieluise Beck, MdB, Bündnis

90/Die Grünen

Zur intellektuellen Kapitulation vor den Kriegshetzern rät Eberhard Rondholz, wenn er für den Nationalstaat plädiert. Daß ethnische Säuberung in diesem Begriff steckt, macht er klar. Die Verbindung von Nation und Staat liefert so neue Kriegsgründe. Denn in den meisten sogenannten Nationalstaaten leben Bevölkerungsgruppen, die sich nicht als zur jeweiligen Staatsnation gehörig empfinden. In Vergessenheit gerät, daß der Nationalstaat ein revolutionäres politisches Ziel gegen undemokratische Fremdherrschaft war. Mir erscheint es sinnvoll, heute die Begriffe Volk und Nation auf ihren alten kulturellen Gehalt zu begrenzen. Jeder Staat müßte verschiedene kulturelle Traditionen seiner Bevölkerung gleichmäßig achten und fördern. Es kennzeichnet die Lage in Europa, daß politische Stimmen dafür nur schwach eintreten. Dietrich Jahn, Hannover

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen