: Der Unsichtbare
■ Velvet Underground endgültig Legende: Sterling Morrison ist tot
Als die Band am 11. 11. 1965 für 75 Dollar ihr erstes Konzert unter dem Namen Velvet Underground (VU) gab, war John Cale bereits Stipendiat bei Leonard Bernstein und John-Cage-Schüler, Maureen Tucker die erste Schlagzeugerin der Rockgeschichte, und Lou Reed gehörte als Sänger und Frontman die Show. Sterling Morrison hatte die undankbare Aufgabe der anderen, der sekundierenden Gitarre, gelegentlich mußte er auch den Baß übernehmen. Im richtigen Leben war er das, was man Mitte der Sechziger immer weniger war, was man schmiß, ablehnte oder bis zur Unkenntlichkeit in eine Funktion der Selbsterfahrung umwandelte: Sterling Morrison war Student.
„Ich konnte genauso nerven wie die anderen“, hat er 25 Jahre später gesagt, als die Band sich noch einmal anläßlich einer Warhol/ Velvet-Ausstellung in Paris traf, „vielleicht mehr, weil ich so pingelig war.“ Morrison fühlte sich für den Gesamtsound zuständig. Fotos aus Gründungstagen zeigen ihn beim sorgfältigen Stimmen der Gitarre – ein Bildnis des Künstlers als Handwerker, das so gar nicht zum Klischee von Velvet Undergound als dilettantischer Krachband paßt.
Für Andy Warhol, der sie in seine Factory brachte, waren VU die musikalische Sektion seines künstlerischen Großfürstentums, das zentrale male couple Reed/ Cale legte hier den Grundstein für spätere Karrieren als Transformer, Stadtschreiber von New York oder Epiker walisischer Kindheiten. Doch ohne den Backbeat von Morrison und Tucker wäre die Band, die sich nach einem Pulp- Fiction-Roman der Sechziger benannte, nicht das neben den Beatles einflußreichste Modell der Rockgeschichte geworden – der Prototyp der literarisch inspirierten amerikanischen Art-School- Band.
Von der Schule ist Sterling Morrison nicht losgekommen – und wollte es offenbar auch gar nicht. 1970, VU existierten noch, setzte er alle Drogen ab, schrieb Hausarbeiten für seinen Abschluß, fuhr nur gelegentlich mit dem Fahrrad in den Klub, in dem er seine Gitarre abgestellt hatte – eine Solokarriere wie im Falle von Reed und Cale hat sich daraus bekanntlich nicht entwickelt. Nach einer von Morrison selbst in die Welt gesetzten Anekdote war es sogar der Streß mit seinem Diplom, der verhinderte, daß Velvet Underground in den frühen Siebzigern, nachdem Warhol das Interesse an ihnen verloren hatte, sich noch einmal aufrafften. Die langen Jahre, in denen die Band allmählich zur Legende wurde, verbrachte er als Anglistikdozent in Austin/Texas. Zuletzt soll er noch gelernt haben, wie man einen Schleppkahn steuert.
„Glauben Sie, daß Ihre Rolle in der Band von der Geschichte unterschätzt wird“, fragte Christian Fevret vom französischen Magazin Les Inrockuptibles im letzten großen Interview 1990. Morrisons Antwort: „Um nicht zu sagen völlig vernachlässigt. Man sagt: ,Wenn er wirklich etwas geleistet hätte, wäre er doch präsent.‘ Da John und Lou später Erfolg hatten, ist es leicht, sich vorzustellen, was sie bei VU gemacht haben. Aber Sterling Morrison ist von der Bildfläche verschwunden. Alles dreht sich also um Lou und John. Meine Autorenrechte sind verlorengegangen. Alles spielte sich in New York ab, und ich war in Texas. Für alles wurden unsere drei Unterschriften gebraucht, aber es war schwierig, uns drei zusammenzukriegen. Wir hatten keine besondere Lust, uns im selben Zimmer aufzuhalten. Also wurde alles zwischen den Musikverlagen von John und Lou aufgeteilt. Wieder mal war ich der große Unsichtbare. Ich gab nach, weil ich ihren Argumenten nichts entgegnen konnte. Man hat einfach nicht erkannt, daß viele VU- Stücke in Teamarbeit entstanden sind. Aber die Leute, die uns live gesehen haben, wissen, wie wichtig ich war.“
Gelegenheit dazu war noch einmal im Juni 1993 – die letzte. Sterling Morrison ist am vergangenen Mittwoch im Alter von 53 Jahren gestorben. Thomas Groß
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