: Bündnisgrüne profitieren von der großen Lethargie
■ Die Umweltpartei boomt jetzt auch im Ostteil Berlins, die PDS dagegen stagniert
„Wir können derzeit machen, was wir wollen“, jubilieren die bündnisgrünen Wahlkampfstrategen in der Hauptstadt, „uns fliegen die Wählerherzen zu.“ Fast hat man den Eindruck, die Berliner Ökopartei könnte sich den Wahlkampf sparen. Doch die Plakate sind gedruckt: „Der Wechsel ist fällig – die Große Koalition ablösen“, heißt die Parole.
Aber nicht nur in der Verkehrs- oder der Umweltpolitik können sich die Bündnisgrünen gegen die von der Großen Koalition verbreitete Lethargie profilieren, selbst in harten Politikfeldern wie der Finanzpolitik gelingt es den Bündnisgrünen immer häufiger, den Sozialdemokraten den Rang abzulaufen. Der aufgeklärte Mittelstand, der die ökologische Katastrophe ahnt und sich die sozialen Kosten des ökologischen Umbaus leisten kann, scheint die Botschaft zu verstehen und wählt grün. Notfalls muß man die SPD halt zu ihrem Glück zwingen. Im Wochentakt werden Umfrageergebnisse veröffentlicht, und danach liegen die Bündnisgrünen inzwischen bei 15 Prozent, Tendenz steigend.
Selbst im Ostteil der Stadt boomen die Bündnisgrünen. Glaubt man den Umfragen, liegen sie hier bereits bei 12 Prozent, dies wäre fast doppelt soviel wie beim letzten Urnengang. Doch der Aufstieg im Osten verwundert, denn personell und organisatorisch liegen die Bündnisgrünen hier darnieder: Die Mitgliederzahl stagniert, mehrere Bezirksverbände existieren nur noch auf dem Papier. Gerd Poppe, Ostberlins Bündnisgrüner in Bonn, ward an der Basis noch nie gesehen. Von den wenigen noch nicht frustrierten Ostberliner Bündnisgrünen haben viele von den bürgerbewegten Befindlichkeitsdebatten die Nase voll. Zwei Jahre nach der Vereinigung von Bündnis 90 und Grünen präsentiert sich die Partei fast ausschließlich als erweiterte und realpolitisch geläuterte Alternative Liste und wird dafür auch im Osten gewählt. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß die Partei mit Sybill Klotz überraschend eine parteilose Ostberlinerin mit SED- Vergangenheit an die Spitze ihrer Landesliste gewählt hat.
Die PDS hingegen hat ihren Zenit in Ostberlin wohl überschritten. Die SED-Nachfolgepartei wird ihren Erfolg von vor zwölf Monaten nicht wiederholen können. Die Botschaft „PDS in den Bundestag“ hat damals die Wähler mobilisiert und sie zur stärksten Partei in Ostberlin gemacht. Doch längst hat sich die Debatte um die PDS in Berlin entemotionalisiert, im Abgeordnetenhaus fallen ihre Abgeordneten kaum auf. Mit einem stadtpolitischen Profil glänzt die PDS nicht gerade, dafür ist sie in die politische Verwaltung der Ostberliner Bezirke fest eingebunden.
Rote Socken locken in Berlin kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervor. Die PDS wird mit einer Stammwählerschaft von knapp 30 Prozent in Ostberlin wieder ins Abgeordnetenhaus einziehen.
Bliebe die Berliner FDP mit Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt an der Spitze. Der zerstrittene Landesverband stemmt sich nur gequält gegen die absehbare Niederlage. Berlins FDP- Rechte um Rainer Zitelmann und Alexander von Stahl hat sich ausgerechnet unter dem Firmenschild „kritische Liberale“ zusammengeschlossen und spekuliert schon jetzt darauf, die Konkursmasse der Berliner FDP übernehmen zu können. Christoph Seils, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen