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■ StandbildIch, ich, ich

„Zehn Jahre Leben“, Montag, 13.45, ZDF

Eine dokumentarische „Langzeitstudie“ über drei Hamburger Familien hat Claudia Holldack für das ZDF erstellt. Ein Zeitraum von mehr als zehn Jahren, Urlaub und Alltag , vor allem aber Familie. Denn „die ist ja“, wie mit Sozialamtssachbearbeiter Witt einer der Porträtierten bemerkt, „die kleinste Zelle des Staates“. Ein interessantes Unterfangen. Im Spiegel der anderen erscheinen auch wir selbst. Doch wehe: Mittelmaß – dein Name ist Eitelkeit ohne Größe.

Die Regisseurin genießt es sicht- und hörbar, in diesem Film zu sein. Sie zeigt Fotos aus dem Jahre 1983 – von sich selbst. Sie referiert erst einmal gut neun Minuten lang die Ansichten der Familienmitglieder, obwohl diese gewiß selbst mit einem Mund zum Sprechen ausgestattet sind. Sie stellt fest, daß sie ihre Probanden schrecklich ins Herz geschlossen hat. Durch ihr Reden blockiert sie die Befragten. „Ich, ich, ich.“ Wie indezent, wie unsouverän, wie d... Ich will hier nicht beleidigen. Gewiß sollte dieser Äußerungszwang eine Aura von Nähe und Subjektivität schaffen.

Claudia Holldack jedenfalls findet es „ganz toll, so'n Vertrauen zu haben“. Das meiste Vertrauen hatte sie offenbar zu sich selbst und ihren Fragen. Die verdienen diesen Begriff eigentlich nicht, sind sie doch von keines Gedankens Blässe angekränkelt: „Wen hast du lieber, deinen Vater oder deine Mutter?“ „Was essen Sie denn gern?“ „Schmusen Sie beide auch gern?“ An dieser Stelle möchte ich wiederum das d...- Wort benutzen. Die Kamera fährt Terrassen, gute Stuben, Sekretäre, Fotografien und – wer hätte darauf noch gehofft! – sogar Gesichter ab.

Betulich, langweilig, schlimmmer noch: verwaschen ist dieser Film, dem – ich denke es mit Schrecken – weitere folgen sollen. Ist es nicht die heilige Pflicht einer Dokumentaristin, das Wesen ihres Gegenstandes zu erfassen? Haben diese Witts, Iserloths, Bettermanns denn nichts zu bieten, was die Mühen eines präzisen Blicks lohnt? Sind die Leute so leer, so ohne Charakter, Brüche, Zweifel, wie dieser Film glauben macht? Einfach dumm, die Sache. So dumm, daß vermutlich nur eines hilft: Nachhilfe in Selbstkritik. Anke Westphal

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