Der feuchte, grau-grüne Grund

Farbe, mit den Fingern zur phallischen Maske geknetet: Cy Twombly, der Expressionist ohne Abstraktion, der das Malen nicht lassen konnte. Die Neue Nationalgalerie Berlin zeigt jetzt eine Retrospektive des Amerikaners  ■ Von Brigitte Werneburg

An aktuellen Kriegsbildern mangelt es uns nicht. Sie haben ein Sujet: zerfetzte Menschen und zerstörte Gebäude, Opfer und Verwüstungen. Selten sehen wir das militärische Gerät, das Tod und Verderben bringt, oder die Soldaten, die es bedienen – die Aggression und die Aggressoren. Cy Twomblys „Quattro Stagioni“ beginnt mit einem blumenreichen Frühling und endet in einem Bombergeschwader am kalten, weißen Winterhimmel. Dazwischen blendet grelles Sommersonnenlicht. Doch der Herbst zeigt schon, wie die Artillerie in Stellung gebracht ist. Sie schießt rot aus allen Rohren. Im Frühlingsbild gehört dieses Rot noch einer Form, die wie das Signet eines utopischen Aufbruchs, dreifach gestaffelt im Bildraum hängt. Im „Inverno“ des italienischen Winters, ist sie breit geworden, schwer und schwarz, und von ihren Flügeln tropft bedrohliches Sommerschwefelgelb.

Mit dem Zyklus von 1993/94 endet der Rundgang durch die große Cy-Twombly-Retrospektive, die die Neue Nationalgalerie Berlins vom Museum of Modern Art übernommen hat. Man muß ihn, trotz der Jahreszahl, sicher nicht im Zusammenhang mit Bosnien lesen; es spricht aber wenig dagegen, es zu tun. Dann ist der Zyklus ein nachdrücklicher Schlußpunkt der Schau. Twomblys Krieg ist nicht politisch korrekt. Twombly zeigt nicht die Opfer. Er zeigt die Maschinen. Und mit ihnen den Tod. Doch dessen traurige Macht ist nicht die der dokumentierten Verwüstung. Seine böse Macht ist die des Angriffs. Begeistern kann das nicht. Und doch ist nichts gegen diese Sicht einzuwenden.

Ist es nicht gut, daß kein Betroffenheitsgestus über die Verlegenheit angesichts des Infernos hinweghilft? Daß man sich einer Zumutung ausgesetzt fühlt, von der man nicht ohne weiteres weiß, worin sie nun genau besteht?

Eine der Zumutungen von Cy Twomblys Werk benennt Kirk Varnedoe, Kurator der Schau, gleich zu Beginn seiner Einführung im Katalog: Die Schwierigkeit nämlich, Twombly die passende Nische „in den Darstellungen des Fortschritts der Kunst seit 1950“ in Amerika zuzuweisen. Anfang der 50er Jahre, als er bekannt wurde, schien er mit seinen graffiti- artigen Bleistiftzeichnungen den Abstrakten Expressionismus zu unterminieren. Dann machte er trotz seiner Freundschaft mit Robert Rauschenberg und Jasper Johns nicht den Schritt in die Pop- art – auch wenn sich Verbindungen erkennen lassen. In den späten 60er Jahren wurden seine Schultafel- und die Weiß-auf-Grau gehaltenen Bilder zwar mit der Minimal- und Concept-art in Verbindung gebracht, doch deren großer Häuptling Donald Judd war ein ebenso großer Verächter Cy Twomblys. Denn der konnte das Malen nicht lassen.

Gleichzeitig wurde Twombly ständig neu entdeckt. In der Whitney-Retrospektive 1979 etwa im Zusammenhang mit Joseph Beuys' Guggenheim-Auftritt. Als zwei Jahre später Anselm Kiefer, Julian Schnabel, Francesco Clemente und Sandro Chia in New York Furore machten, ließen sich ihre Arbeiten auch von Cy Twombly her verstehen. Heute ist es das Interesse am Körper, seinen lustvollen wie schmutzigen Spielarten, die den Zugang zu Twomblys Bilder eröffnen. Die Bemerkung Erica Jongs über Mark Twain, „der wußte, daß die Muse auf den Flügeln des Furzes daherschwebt“, gilt auch für Cy Twombly.

Nach drei frühen, strengen Bildern, zeigt „Tiznit“ 1953 erstmals die trockene Bleistiftlinie, die sich in einer Art lächerlichem Aktionismus ihre Spur durch die nasse Farbe bahnt. Ein Jahr später ist in einer unbetitelten Arbeit die erste senkrecht nach oben gerichtete Penisform zu sehen. Aber noch sind Sex und Siff kein offenkundiges Thema. Eine Reihe ziemlich abstrakter, schwer zugänglicher Bildtafeln charakterisiert die weiße Wandfarbe und die teils sehr kleinteiligen, teils ausgreifenden Bleistiftlineaturen. 1961 – Cy Twombly lebt inzwischen in Rom, hat geheiratet und ist Vater eines Sohnes geworden – werden Italien und sein Ferienbeginn, die Bucht von Neapel und ihr Sonnenuntergang, das Mittelmeer und seine Mythen Themen seiner Bilder, die durch ihre motivische und malerische Expressivität überraschen.

Twombly setzt Haufen mit kackbrauner Ölfarbe auf den Bildgrund; auf den fünf Metern „Triumph der Galatea“ verschwindet die Grafik zugunsten leuchtender Bonbonfarben. Er drückt die Farbe direkt aus der Tube auf die Leinwand, er schmiert und knetet sie mit Fingern und Händen auf den Grund. Er scheint sich die kynisch-phallische Maske des römischen Straßenköters aufgesetzt zu haben: überall aufscheinende Kanonenformen mit blutroten Spitzen erinnern an Hundepenisse. Straßenköter wittern und schnüffeln bekanntlich auf Unterleibsebene.

Trotz rosiger Herz- und Hodenhaufen zeigt schon 1962 die Bleistiftskizze eines kargen Fensters in „Leda und der Schwan“, wohin der Künstler erneut tendiert: zu grauer Abstraktion. Auf den noch feuchten, grau-grünen Grund zeichnet Twombly jetzt mit weißer Wachskreide fortlaufende Schlaufen in Schreibschriftmanier. Diese mechanisch, monoton und unpersönlich anmutende Markierungsarbeiten, auch mal dunkel auf hellen Grund gesetzt, dehnen sich bis in die frühen 70er Jahre. Mitte der 70er Jahre scheinen „Apollo und der Künstler“ sowie „Mars und der Künstler“ die Leitmotive für Twomblys nun jährlich an einer Hand abzählbaren Bilder abzugeben. Apollo, der heitere Gott des Lichts: Jetzt, wo der Körper in Mode ist, liebt Twombly, unzeitgemäß wie immer, die Landschaft im Querformat, die Blumen, Monet und das impressionistische Licht der süßen Bonbonfarben aus den 60er Jahren. Es ist ein neuer, tatsächlich fließender Farbauftrag von vergleichsweise leichter Hand, der ihrem ehemaligen Leuchten die sentimentale Nuance gibt.

Bis 19. November, Neue Nationalgalerie, Berlin. Katalog 48 DM.