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■ Das Bundesverfassungsgericht wird sein Urteil in Sachen"Soldaten sind Mörder" nicht ändern. Die zu erwartende Empörung der Rechten ist so spontan nicht, die Wut hat System.Richter sind potentielle Unruhestifter

Das Bundesverfassungsgericht wird sein Urteil in Sachen „Soldaten sind Mörder“ nicht ändern. Die zu erwartende Empörung der Rechten ist so spontan nicht, die Wut hat System.

Richter sind potentielle Unruhestifter

Als CDU-Generalsekretär Peter Hintze jüngst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur „Selbstbesinnung“ aufrief, dürfte er sich das Ergebnis anders vorgestellt haben. Auch für seine neuen Beschlüsse, so ist zu erwarten, wird Karlsruhe von konservativer Seite Prügel beziehen: Das Gericht wird seine Rechtsprechung in Sachen „Soldaten sind Mörder“ nicht ändern. Der pazifistische Ausspruch dürfte nach den vorliegenden Informationen auch in bisher noch nicht entschiedenen Konstellationen straflos sein. Ein Piloturteil im August letzten Jahres zog wütende Wadenbeißereien nach sich: „Das ist ein politischer Skandal“, polterte Verteidigungsminister Rühe, worauf sich der Bundestag bemüßigt sah, sich vor die Soldaten zu stellen – bei Enthaltung von SPD und Grünen.

Richter Dieter Grimm, der das Urteil in der ARD-„Tagesschau“ erläutert hatte, erhielt Morddrohungen und mußte sich fortan durch Bodyguards begleiten lassen. Wochen später verglich der Bundeswehrgeneral Schultze- Rhonhof das Karlsruher Gericht sogar mit dem NS-Volksgerichtshof. Das ganze Theater dürfte nun von vorne losgehen.

Nun müßte ein solcher Urteilsspruch, der garantiert auch als erneuter „Sieg für die Meinungsfreiheit“ begrüßt werden wird, im demokratischen Staat eigentlich selbstverständlich sein. Weit gefehlt. Denn besonders, wenn die Ehre des Staates und seiner Armee betroffen ist, reicht die „Freiheitlichkeit“ unserer „Grundordnung“ in der Regel nicht sehr weit. Insofern ist das Verfassungsgericht sicher verfassungstreuer als viele seiner konservativen KritikerInnen.

Anzuerkennen ist die Standhaftigkeit der Karlsruher RichterInnen vor allem angesichts des massiven Drucks, der in den letzten Wochen auf Karlsruhe ausgeübt wurde. Es wäre für die RichterInnen sicher bequemer gewesen, die noch verbliebenen „Soldaten sind Mörder“-Verfahren auf die lange Bank zu schieben, bis sich die Wogen etwas geglättet haben. Möglich wäre dies durchaus gewesen, denn das Gericht entscheidet selbst, in welcher Reihenfolge die eingehenden Klagen und Verfassungsbeschwerden abgearbeitet werden.

Nach dem Kruzifix-Urteil war der Druck auf das Gericht jedenfalls enorm. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber kündigte an, das Urteil werde „auf Dauer keinen Bestand haben“ und gab prompt ein Gesetz in Auftrag, „in dem geregelt ist, daß in unseren Schulen weiterhin Kreuze hängen“. Gerade eine solche staatliche Anordnung aber hatte das Gericht soeben für verfassungswidrig erklärt. Und der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Geis, wütete: „Wir können es uns nicht leisten, daß durch eine solche Rechtsprechung die Verfassung verletzt, die ordentliche Gerichtsbarkeit geschwächt und der gewaltengeteilte Staat ruiniert wird.“ So offen hat wohl noch kein führender Politiker den Karlsruher RichterInnen Verfassungsbruch vorgeworfen.

Nachdem das Urteil selbst genug zerfleddert war, begann man mit der Kritik an Linie und Arbeitsweise des Gerichtes. Der CSU-Parteivorsitzende Theo Waigel sah gleich eine ganze „Kette“ von Urteilen, die in der Öffentlichkeit „zu Recht“ auf Unverständnis gestoßen seien. Die Horrorliste der Union ist lang, ganz oben stehen das Haschisch-Urteil, der Sitzblockaden-Beschluß und (natürlich) die Straffreiheit für den Pazifisten, der Soldaten als Mörder bezeichnete. CDU-Rechtsexperte Rupert Scholz forderte, derart wichtige Entscheidungen des Verfassungsgerichts sollten künftig einer Zweidrittelmehrheit bedürfen. Pro Senat müßten dann sechs von acht RichterInnen hinter einer Entscheidung stehen. Worauf dieser Vorschlag abzielt, ist klar: Im ersten Senat waren in letzter Zeit einige Urteile mit fünf zu drei Stimmen beschlossen worden. Gemeinsam mit den vier von der SPD nominierten RichterInnen stimmte in Bürgerrechtsfragen auch der derzeitige Senatsvorsitzende Johann Friedrich Henschel, der auf FDP-Ticket nach Karlsruhe gekommen war.

Auch die Wahl der Verfassungsrichter wurde plötzlich in Zweifel gezogen. Burkhard Hirsch (FDP) und Otto Schily (SPD) präsentierten einen Gesetzentwurf, demzufolge die vom Bundestag zu nominierenden RichterInnen nicht mehr in einem Ausschuß, sondern im Plenum gewählt werden sollten. Das bisherige Verfahren sei „verfassungswidrig“. Das meinen im übrigen auch die Bündnisgrünen, deren Gesetzentwurf allerdings schon vor dem Kruzifix- Urteil eingebracht worden war. Die VerfassungsrichterInnen dürften über diese Bemühungen, ihre Legitimation zu erhöhen, allerdings wenig erfreut sein, wird doch im Umkehrschluß ihr derzeitiger Status angezweifelt. Dies erkannte wohl auch der CDU-Rechtspolitiker Horst Eylmann, der den Oppositionsinitiativen Beistand zusicherte.

Das Kruzifix-Urteil ist derweil schon etwas in den Hintergrund getreten. Es scheint, als verfolge die Richterschelte der Union vor allem präventive Zwecke. Denn „im Spätherbst“ will das Bundesverfassungsgericht über den Asylkompromiß verhandeln. Dabei könnten die wesentlichen Pfeiler der Asylneuregelung fallen: Ausschluß des Asylrechts für Flüchtlinge, die über „sichere Drittstaaten“ eingereist waren, sowie die Annahme, daß es verfolgungsfreie „Herkunftsstaaten“ gebe.

Die Union ist nervös geworden, denn seit Karlsruhe ständig von Abschiebung bedrohte Asylbewerber aus Flugzeugen retten muß, ist die Stimmung im Verfassungsgericht ziemlich gereizt. Beim Neujahrsempfang des Gerichts hatte Präsidentin Jutta Limbach den Asylkompromiß ausdrücklich als „mit heißer Nadel gestrickt“ bezeichnet.

Anfang nächsten Jahres wird sich das Gericht zudem mit der strategischen Fernmeldeüberwachung durch den BND befassen. Der deutsche Geheimdienst hatte im letzten Jahr die Erlaubnis erhalten, alle Telefongespräche mit dem Ausland auszuwerten („Staubsauger im Äther“), was vor einigen Wochen von Karlsruhe per einstweiliger Verfügung vorläufig gestoppt wurde. Die zu erwartenden Ausfälle gegen das Gericht anläßlich des neuen „Soldaten-Urteils“ sollte man vor diesem Hintergrund sehen. Christian Rath

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