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Ein Himmelstor für den Liberalismus

■ „Liberale Bürger für Berlin“ wollen der FDP ins Parlament verhelfen: Engagement gegen den „Untergang Berlins“

Das Parteiprogramm der Berliner FDP kennt Monika Boelling „nicht unbedingt“, doch das mache auch nichts, fügt die Hausfrau und ehemalige Lehrerin schnell hinzu, schließlich wolle sie nicht in die FDP eintreten, sondern nur zu deren Wahl aufrufen. Berlin brauche eine bürgerlich-liberale Kraft, damit die Stadt nicht im Meer der Linksparteien versinke. Sich gegen den Untergang Berlins zu engagieren, das sei sie ihren Kindern und der Demokratie schuldig.

Doch mehr als der Hauptstadt droht derzeit der Berliner FDP ein Fiasko. Die Rettung der Liberalen stellte sich am Dienstag abend im noblen Interconti der Presse und nennt sich „Liberale Bürger für Berlin“.

Rund 40 Berliner – „vom Schüler bis zum Manager“ – haben sich in der Wählerinitiative zusammengefunden, um der Hauptstadt- FDP bei den Abgeordnetenhaus- wahlen im Oktober über die Fünfprozenthürde zu helfen. Daß sie Erfolg habe werden, davon ist Initiator Christoph Boelling überzeugt. „Wir haben doch keine Lust, auf eine Loser-Partei zu setzen“, räumt der „Niederlassungsleiter eines westdeutschen Großunternehmens aus der Telekommunikation“ alle Zweifel energisch aus dem Weg. Christoph Boelling hat seine Zielgruppe fest im Visier. Die Besserverdienenden unter den Nicht-wählern will er davon überzeugen, daß nur mit einer liberalen Insel im roten Meer „mehr in- und ausländische Investoren, neue Wirtschaftszweige, Wachstum und Arbeitsplätze“ nach Berlin kommen. Glaubt man den jüngsten Wahlprognosen, dann liegen die Berliner Liberalen in der Wählergunst derzeit zwischen 2 und 4 Prozent. Dies bedeutet, zwischen 20.000 und 50.000 gutverdienende Wähler müssen in den kommenden Wochen mobilisiert werden, um den Niedergang der FDP zu verhindern.

Ob die dann mitregiert oder auf den Oppositionsbänken Platz nimmt, sei nicht so wichtig. Hauptsache den Bürgern bleibe eine „bürgerlich-demokratische Kraft“ erhalten.

Aus den Grabenkämpfen zwischen den Parteiflügeln will sich die Wählerinitiative heraushalten. Auch das Thema Lauschangriff, das die Mitglieder der FDP an die Wahlurnen ruft, interessiert die Liberalen Bürger nicht. In innerparteiliche Debatten will man sich nicht einmischen. „Wir sind unabhängig und beobachten die FDP ganz genau von außen“, so Torben Freund, Cheforganisator der Liberalen Bürger.

Doch bei dem Gedanken an liberale Politik gerät Christoph Boelling ins Schwärmen. Das neue Führungsduo Gerhard/Westerwelle habe auf dem letzten FDP- Parteitag die Modernisierung des Liberalismus doch eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Jetzt ist auch für die Berlinern das Paradies auf Erden greifbar nahe. Zumindest dann, wenn die Liberalen in Kürze nach über 30jährigem unermüdlichem Einsatz endlich die Abschaffung des Ladenschlußgesetzes erkämpft haben. Sollte sich Bundeswirtschaftsminister Günther Rexrodt durchsetzen, dann werde ein„wirtschaftliches Himmelstor“ für Existenzgründer, Handel und Verbraucher geöffnet.

Doch bevor die vielen heimlichen Himmelsstürmer bei der FDP ihr Kreuzchen machen, sollen sie zunächst bezahlen, denn selbstverständlich finanziert sich diese Initiative von Nichtparteimitgliedern nur aus Spenden. Doch wenn der Rubel dann rollt, kann Christoph Boelling, seine Truppe und den Liberalismus nichts mehr aufhalten, denn „jede D-Mark bringt eine Briefmarke und jede Briefmarke eine Stimme für die FDP“. Christoph Seils

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