piwik no script img

LichtspieleFühr sie nach Missouri, Matt!

■ Hundert Jahre Genrekino – Abschied vom Western

Die frühesten Cowboyfilme, so war unsere Bezeichnung, an die ich mich erinnere, sind die Fuzzy- Filme. Fuzzy, bürgerlich Al St. John, ist ein kleines, komisches Männchen mit Backenbart, zerknautschtem Gesicht und einer Fistelstimme. Seine Hutkrempe ist nach oben gebogen, was uns als untrügliches Zeichen für Doofheit gilt.

Fuzzy ist ein liebenswerter Aufschneider, ängstlich und tolpatschig, er macht alles falsch und muß von seinem Freund, dem Helden – Buster Crabbe oder „Lash“ La Rue –, herausgehauen werden. Wenn Fuzzy am Ende des Films komisch-angeberisch die erfolgten Heldentaten für sich reklamiert, erntet er großes Gelächter, auf der Leinwand und im Kino.

Wenn jemals der Vorwurf berechtigt war, der Genrefilm sei wenig innovativ, auf die Fuzzy- Filme trifft er wirklich und wahrhaftig zu. Immer dieselben Räubergeschichten (Vieh, Gold, Lohngelder), immer dieselbe Saloonschlägerei, dieselben Gags: Fuzzy holt weit zum Schlag aus, bekommt einen leichten Kinnstupser, weiche Knie und fällt theatralisch um; immer dieselbe Verfolgungsjagd zu Pferde, meistens wird sie sogar in einem Film zweimal gezeigt, und das fällt selbst uns Sechsjährigen auf!

Fuzzy-Filme sind wirklich Schrott – aber das macht nichts. Wir Kinder sind Nietzscheaner und freuen uns auf die Wiederkehr des Immergleichen; an geliebten Geschichten soll nicht herumgefummelt, sie sollen nicht anders erzählt werden. Wir hängen nämlich nicht der fixen Idee der Erwachsenen an, Wiederholung sei schlecht. Daß Fuzzy ähnlich eindimensional ist wie Onkel Dagobert, ohne die Möglichkeit innerer Entwicklung, ist uns Kindern nämlich kein Problem: Wir erwarten und lieben es.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß Fuzzy-Filme tatsächlich besonders billig und schlecht sind – fürs Genre insgesamt, für die Tausenden von Western, die seit Broncho Billys Zeiten gedreht wurden, sind diese D- Pictures, wenn es so etwas gibt, indes sicher typischer als die paar Meisterwerke, die es auch hervorgebracht hat. Ob es viel mehr als hundert wirklich gute Western gibt?

Wenn man also das Genrekino liebt, muß man nicht die vielen schlechten Filme lieben. Sie sind jedoch auch kein Ärgernis, sondern der Humus, auf dem gute Filme entstehen. Nur wer viele schlechte gesehen hat, denke ich manchmal, kann den Unterschied, der die guten ausmacht, überhaupt genau erkennen.

Von den Fuzzy-Filmen zu den Klassikern. Meine Liste ist nicht sehr originell, aber das ist kein Mangel: Ein Kanon, der überraschen will, ist in der Regel eher der Eitelkeit als der Triftigkeit geschuldet. Drei Regisseure haben das Genre geprägt, jedenfalls in seinen besten Produkten: John Ford, Howard Hawks, Anthony Mann; und zwei Stars, John Wayne und Jimmy Stewart: „Stagecouch“ (1939), „Destry Rides Again“ (1939), „Red River“ (1948), „She Wore a Yellow Ribbon“ (1949), „Wagonmaster“ (1950), „Broken Arrow“ (1950), „Bend of the River “ (1952), „The Naked Spur“ (1952), „The Searchers“ (1956), „Rio Bravo“ (1958), „The Man Who Shot Liberty Valance“ (1962).

Wie weit die Grenzen des Western sind, wie viele Subgenres es gibt, zeigt schon diese Aufzählung: der Ritt oder die Postkutschenfahrt durch Indianerland wie in „Stagecoach“; die Geschichte einer Stadt, von Willkürherrschaft zu Gesetz und Ordnung wie in „Destry“; der große Viehtreck in „Red River“, „She Wore a Yellow Ribbon“ als Kavalierwestern... „Liberty Valance“ gehört in gewisser Weise gar nicht zu den Klassikern; die große Filmkritikerin Pauline Kael hat ihn verabscheut, und auch „Halliwell's Film Guide“ verleiht ihm nur einen Stern (von vier möglichen).

„Liberty Valance“ ist nicht der Höhepunkt des Western, sondern sein Abgesang, so radikal und finster, daß er nach meinem Dafürhalten einen wirklichen Schlußpunkt setzt, auch wenn weiterhin Western gedreht wurden und werden. In mancherlei Hinsicht ist der Film untypisch fürs Genre: Kein weites, offenes Land, keine Außenaufnahmen in Monument Valley, „Liberty Valance“ spielt fast ausschließlich in einem Studio-Western-Kaff, nachts, in geschlossenen Räumen – alles so eng! Viel, sehr viel Dialog, und außerdem ist der Film auch noch schwarzweiß.

Helden sind unsterblich, der unsterblichste Held des Kinos ist John Wayne. Wenn „Liberty Valance“ beginnt, ist John Wayne tot, und nicht einmal eine heroische Leiche, sondern eine Art Penner, der in einem Billigsarg liegt, ohne die Insignien des Westerners, ohne Stiefel, Sporen, Revolver. Dieser Regelverstoß hat eine andere Dimension, eine andere Tiefe und Radikalität als das, wodurch später der Italo- Western berühmt wurde, der sich einen Spaß daraus macht, die Konventionen des Western zu durchbrechen oder zu parodieren.

Es gibt sicher gute Italo-Western, „Für eine Handvoll Dollar“, „Django“, „Leichen pflastern seinen Weg“, „Mercenario“ – aber das sind eher Travestien des Genres. Ihnen wie auch den bemerkenswerten amerikanischen Western nach Fords Abgesang – von „The Wild Bunch“, „Soldier Blue“ und „Little Big Man“ bis zu „Dances with Wolves“ und „Unforgiven“ – fehlt nämlich das Versprechen des Westens: „Nach Westen, junger Mann, nach Westen, dort findest du Ruhm, Glück und Abenteuer...“ Dieser berühmte Satz Horace Greeleys, der in „Liberty Valance“ zitiert wird, verspricht das Glück – alle späteren Filme handeln nur noch vom Unglück, das die Eroberung des Westens gebracht hat: den Indianern, den Frauen, dem Westerner selbst.

Der berühmteste Satz aus „Liberty Valance“ lautet: „This is the West, Sir. When the legend becomes fact, print the legend.“ Einmal noch, in diesem Film, können wir mit knapper Not daran glauben, daß der Mythos real ist, vielleicht realer als die Wirklichkeit, auf jeden Fall aber „bigger than life“; daß Wahrheit und Lüge, Legende und Realität kompliziert miteinander verschlungen sind. Wiederholt man den Satz, in einem späteren Film, wird er endgültig das, was er immer auch war: Lüge.

Dies ist das Thema der Filme nach „Liberty Valance“: die Lüge des Westens, des Western. Demystifikation, Entlarvung der Legende: nicht Unschuld, sondern Schuld und Gewalt. Damit aber ist die Idee des amerikanischen Westens verlorengegangen. Der Western wird ein Abbruchunternehmen, ohne die Unschuld des unberührten Landes, ohne das Glück des Anfangs, wie es eine der schönsten Szene des Western schildert: Der Aufbruch des Viehtrecks in „Red River“: „Führ sie nach Missouri, Matt!“, das Schreien und Jodeln der Cowboys, das in den großen Gesang mündet – wer da keine Tränen in den Augen hat, ist für den Western verloren. Kurt Scheel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen