Schäubles Spott, Scharpings Schaden

Koalition macht Formschwäche der SPD-Führung zum Dauerthema in Bundestags-Generaldebatte. Schäuble beklagt den Verfall politischer Kultur, und Fischer muß wieder die Opposition führen  ■ Aus Bonn Hans Monath

Gerhard Schröder war nicht persönlich im Bundestag erschienen, um in der gestrigen Generaldebatte zum Bundeshaushalt 1996 zu sprechen. Trotzdem aber wurde im Parlament über Stunden hinweg der Scharping-Konkurrent aus Hannover zum Thema gemacht. Die Koalition ließ keine Gelegenheit aus, sich phantasievoll an der Formschwäche der SPD-Führung zu weiden und deren Protagonisten der Lächerlichkeit preiszugeben. Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble brachte sogar das Kunststück fertig, die tiefen Sorgen um die politische Kultur in Deutschland zu schildern, die ihn wegen des Streits in der SPD angeblich umtreiben.

Nur mit einer Parforce-Attacke auf die Bundesregierung hätte Rudolf Scharping dieser voraussehbaren Häme wirksam begegnen können. Allein, der Oppositionsführer, der gestern die erste Debatte nach der Sommerpause eröffnete, brachte die Koalition mit seiner klassisch sozialdemokratischen Rede nicht in Bedrängnis. Statt dessen entwarf er ein Bild der deutschen Gesellschaft, in dem Menschen nur als hilflose Opfer einer übelmeinenden Bundesregierung vorkamen.

Die Koalition mißbrauche die Arbeitslosigkeit als „Rammbock gegen den sozialen Frieden“, kritisierte Scharping, sie habe sich schon lange von der sozialen Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard verabschiedet. Dem Bundeskanzler warf Scharping einen „zynischen Umgang“ mit den Sorgen der Menschen vor, er nehme ihre Hoffnungen und Wünsche nicht auf: „Wenn Ruhe herrscht, dann hat das nicht mit Frieden, sondern viel mit Resignation zu tun.“ Einsichtige Beispiele oder gar ein Gesamtkonzept einer anderen Wirtschaftspolitik blieb Scharping allerdings weitgehend schuldig. Trotz schwacher Rede klatschten dann auch bündnisgrüne Abgeordnete, aus Solidarität.

Nur einen Satz hatte der SPD- Chef für die Entwicklung in Bosnien übrig. Diese Gewichtung gab Schäuble später Gelegenheit zu dem Vorwurf, daß Scharping den „Schicksalsfragen“ so wenig Bedeutung beimesse, zeige „eine Verkommenheit des Denkens über politische Prioritäten in unserem Lande.“

Für die Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen in der SPD fand Schäuble den Ausdruck „Horrorshow“. Das Treiben Schröders, so der Fraktionschef sarkastisch, habe ihm bislang nicht gefallen. Aber Scharpings Bundestagsrede habe nun doch sein Verständnis für dessen Rivalen gefördert.

Den beiden SPD-Politikern warf Schäuble vor, sie hätten mit ihrem Streit dem Ansehen der Politik und der politischen Kultur geschadet. Im Verlauf des „Personaltheaters“ hätten sie den Eindruck erweckt, es gehe ihnen nur noch um persönliche Interessen, und damit hätten sie das Vertrauen in Politiker weiter demontiert.

„Krokodil, dein Name sei Wolfgang“, höhnte Joschka Fischer daraufhin und attackierte mit Verve Schwachstellen der Koalition. Wenn es nicht gelinge, Kohl „in den Zustand des ewigen Lebens zu versetzen“, werde die Nachfolgefrage in der Union „Ihren Laden ähnlich zerlegen, wie es leider bei der SPD der Fall ist“.

Eine Bedrohung der politischen Kultur und Glaubwürdigkeit hätten die Attacken führender CSU- Politiker in den vergangenen Wochen auf das Bundesverfassungsgericht nach dem Kruzifix-Urteil dargestellt. Die Christsozialen hätten mit ihrem Verhalten den Kern der Verfassung in Frage gestellt.

Offensiv verteidigte Fischer die in seiner Fraktion und Partei geführte Diskussion über die militärische Verteidigung der UN-Schutzzonen in Bosnien: „Wir werden diesen Grundwertekonflikt austragen, ohne uns von Ihrer Häme beeinflussen zu lassen“, sagte er in Richtung Koalition. Schäuble verfolge in der Außenpolitik aber andere Interessen, wie dessen Äußerungen über die Notwendigkeit einer nuklearen Option für die Sicherheitspolitik der Europäischen Union gezeigt hätten.

Es war unausweichlich, daß auch Kohl sich des so schwer gebeutelten Oppositionsführers annahm. „Das Bild, das sie abgeben, ist jämmerlich“, rief er Scharping zu. Er müsse dafür sorgen, „daß mindestens eine Minderheit in Ihrer Fraktion Ihnen noch glaubt“. Sprach's und gab dem SPD-Vorsitzenden noch einen Hinweis mit auf den Weg, wie mit parteiinternen Widersachern umzugehen sei. Dabei spielte Kohl auf den Vorwurf an, er sitze Probleme nur aus: „Ich kann Ihnen nur empfehlen: Sitzen auch Sie intelligent aus“, sagte er und fügte hinzu: „Da kommen die Gestalten und gehen.“