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Kundgebungsaufruf

■ betr.: Demoaufruf „Stoppt den Krieg in Bosnien-Herzegowina“ und Kommentar, taz v. 29.8. 95

Liebe LeserInnen, liebe Redaktion,

für die Wut über den Krieg in Bosnien und den Wunsch nach einer militärischen Beendigung habe ich Verständnis. Den abgedruckten Kundgebungsaufruf würde ich trotzdem nicht unterschreiben, weil in ihm teilweise Ursache und Wirkung auf den Kopf gestellt werden: Polen wurde von Nazideutschland überfallen, weil Nazideutschland Polen überfallen wollte. Das war möglich, weil die deutschen Machteliten 1933 Hitler und seiner NSDAP die Macht in die Hände legten. Dies taten sie, weil Hitlers Programm (kriegerische Eroberung von „Lebensraum im Osten“, Unterwerfung des übrigen Europas als Machtbasis für Deutschlands Kampf um die Weltherrschaft) eine Radikalisierung der Kriegsziele war, um deretwillen dieselben „Eliten“ 1914 den Ersten Weltkrieg vom Zaun brachen. Reichswehrgeneral Groener sagte 1919 zu seinen Offizieren: „Wenn man um die Weltherrschaft kämpfen will, muß man dies von langer Hand her vorausschauend mit rücksichtloser Konsequenz vorbereiten“.

Das sind die wirklichen Gründe für Hitlers Überfall auf Polen. Wer den westlichen Demokratien indirekt die Schuld daran gibt, lenkt von den in der deutschen Politik zu suchenden Ursachen für den Zweiten (und Ersten) Weltkrieg ab.

Ein Vergleich des Krieges in Bosnien mit dem Zweiten Weltkrieg verbietet sich, weil keiner der drei involvierten Staaten (Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Restjugoslawien) bisher angekündigt hat, ein anderes angrenzendes Nachbarland, geschweige denn Europa oder die Welt zu erobern.

Wenn in der Bundeshauptstadt Berlin gegen den Krieg in Jugoslawien demonstriert wird, sollte außerdem die deutsche Beteiligung an diesem Krieg thematisiert werden: die hart am Völkerrechtsbruch von der BR Deutschland durchgesetzte Anerkennung Kroatiens und dessen klammheimliche Hochrüstung mit NVA-Waffen. Weshalb werden im Aufruf nur Kroatien und Bosnien-Herzegowina als jugoslawische Nachfolgestaaten namentlich erwähnt? Ich wünsche mir eine demokratische und multikulturelle Entwicklung aller jugoslawischen Nachfolgestaaten, selbstverständlich auch Sloweniens, Restjugoslawiens und Mazedoniens! Frank-René Domes, Dipl.-Pol.

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