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Der Autokonzern verkauft Bildungsgüter

VW-Pädagogik – das neue Produkt aus den Wolfsburger Fabrikhallen. Heute im Angebot: Fahrbare Lerncomputer und Rationalisierung. Das Trainingslager für die Belegschaft ist am Arbeitsamt gescheitert  ■ Aus Wolfsburg Jürgen Voges

Riesige Parkplätze mit VWs aller Typen und Farben, dahinter die „Wache Ost“. Ein Passierschein wird ausgefüllt. Wer zur „Volkswagen Coaching GmbH“ gelangen will, muß immer noch eintauchen in die abgeschlossene Autowelt im Wolfsburger Norden. Dabei ist die Firma für Aus- und Weiterbildung ein eigenständiges Unternehmen. Auf dem freien Markt soll es Kunden in Sachen „Bildung“ gewinnen. Der Tochterbetrieb des Automobilherstellers ist am Jahresbeginn aus dem Werksbereich Personalentwicklung hervorgegangen.

Hinter der „Wache Ost“ beginnen die kilometerlangen Produktionshallen mit ihren VW-typischen rotbraunen Klinkerwänden. Der Eingang Nummer 35 weist den Weg in das „Selbstlernzentrum“, ein helles, vierstöckiges Gebäude – ausnahmsweise mit vielen Fenstern. Gleich dahinter schließen sich die metallverkleideten Flachbauten mit den Ausbildungswerkstätten an. „Unser Ziel ist es, ein Bildungsdienstleistungsbetrieb für Unternehmen zu werden“, sagt Rolf Rosch, Pressesprecher der VW-Coaching.

Rundumlösungen will dieser Bildungsdienstleister seinen Kunden einmal anbieten: „Zunächst Analyse der Personalprobleme, anschließend den Qualifikations- und Trainingsbedarf bestimmen, dann Bildung und Beratung im Paket liefern. Am Ende steht die Erfolgskontrolle“, umreißt Rolf Rosch das Coaching-Angebot. Auf den VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz geht die Idee einer VW- Bildungstocher, der selbständigen Coaching GmbH zurück, „die sich im Markt bewähren muß und daher vom Urteil ihrer Kunden abhängt.“

Dem Hauptkunden VW sollte der Lernbetrieb wiederum zu „Spitzenleistungen“ seiner Beschäftigten verhelfen. Beste Ausbildung als Überlebensstrategie im brutalen, internationalen Wettbewerb. Das „aus der Welt des Sports stammende Coaching weist den neuen Weg zu systematischen und ganzheitlichen Trainingsmethoden“, die auch die psychische Unterstützung der Persönlichkeit einschließen, erläutert Hartz. So plante er ein Trainingslager für die VW-Beschäftigten. Jeweils ein Teil der Belegschaft sollte für drei Monate aus dem Unternehmen ausscheiden, sich arbeitslos melden und in dieser Zeit von der GmbH weitergebildet werden.

Eine staatlich finanzierte Form der Arbeitszeitverkürzung: VW hätte drei Monate Lohn gespart, und danach fittere ArbeiterInnen zurückbekommen. Doch die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit spielte nicht mit. Sie weigerte sich, für die drei Coaching-Monate Arbeitslosengeld zu zahlen. Die nur zum Training freigesetzten Mitarbeiter seien ja gar keine Arbeitslosen, lautete das Argument aus Nürnberg. Schließlich plane VW von vornherein ihre Wiedereinstellung.

So ist heute von den neuen Ansätzen noch nicht viel umgesetzt. Etwa die Hälfte der 560 Coaching- MitarbeiterInnen an allen VW- Standorten ist in der guten alten Berufsausbildung tätig. Damit erzielt man insgesamt 80 Prozent der Umsätze. Drinnen im Wolfsburger Flachbau findet sich eine ganz normale Lehrwerkstatt für Industriemechaniker. Eine junge Auszubildende mit Pferdeschwanz hat gerade kleine Metallteile zu schweißen, die normalerweise Stuhllehnen festhalten – die werkseigenen Stühle werden repariert. „Wir übernehmen hier immer kleine Aufträge“, erläutert ihr Ausbilder – sinnloses Basteln von Schaustücken soll vermieden werden. Abgerechnet werden die Aufträge, die die selbständige Tochter für das Werk erledigt, bisher noch im Wege des Naturaltausches: „Im Gegenzug bekommen wir von den Abteilungen dann Material.“

In einer weiteren Werkstatt sitzen drei Gruppen von je vier Auszubildenden um achteckige Tische, an denen im Modell die Technik der pneumatischen Maschinensteuerung erlernt wird. „Das Besondere ist, daß hier auch immer zwei, drei Auszubildende sitzen, die nicht von VW kommen“, sagt Pressesprecher Rosch. Die Coaching GmbH verkauft Teile der VW-Ausbildung an andere Betriebe. Rosch rechnet mit steigender Nachfrage für diese Bildungsdienstleistung.

Das Selbstlernzentrum gleich neben der „Wache Ost“ ist einer der Orte der betrieblichen Weiterbildung. Auf drei Stockwerken sind die Räume hier mit Computern bestückt, auf denen das „Computer-Based-Training-Program“ läuft. Das Angebot reicht von der Einführungen in den Umgang mit Computern oder einzelnen Programmen über Sprach- und Elektrotechnikkurse bis zum Betriebswirtschaftslehrgang. Hier können die VW-Mitarbeiter sich freiwillig und kostenlos ihren Neigungen entsprechend fortbilden – allein in Zwiesprache mit dem Computer.

Darüber hinaus bietet das Selbstlernzentrum natürlich auch Pflichtkurse, die während der bezahlten Arbeitszeit stattfinden: Im vierten Stock üben gerade IngenieurInnen, TechnikerInnen und FacharbeiterInnen gemeinsam an den Bildschirmen den Umgang mit dem neuen CAD-System „Katja“.

Natürlich will die Coaching GmbH auch mit den Weiterbildungsangeboten ihres Selbstlernzentrums auf den Markt. Einen Computer, auf dem die Trainingsprogramme laufen, hat Rosch schon in einen VW-Transporter einbauen lassen. „Qualimobil“ heißt dieser erste Lernwagen nun, von dem es bald eine ganze Reihe geben soll. Das Qualimobil will man zum Zwecke der Mitarbeiterfortbildung an andere Firmen vermieten. Auch die Kurse an den Terminals im Wolfsburger Selbstlernzentrum will man bald gegen eine entsprechende Gebühr auf dem Markt anbieten.

Volkswagen ist nach der Computerfirma IBM-Deutschland das zweite große bundesdeutsche Unternehmen, das seine innerbetriebliche Bildung in einen selbständigen Tochterbetrieb ausgegliedert hat. Bisher allerdings macht die Lern-GmbH immer noch über 90 Prozent ihrer Umsätze mit Aufträgen des Mutterkonzerns.

Zu der Bildungstochter gehören auch die VW-eigene „International School of Integrated Management“ und eine kleine Personalforschungsgruppe, die die weltweiten Entwicklungen und Trends in der Personalarbeit und im Management beobachtet. Weil bei den 560 MitarbeiterInnen „sehr unterschiedliche Erfahrungen und vielfältiges Know-how zusammenkommen“, hofft Rolf Rosch, daß die GmbH auch bald mit kombinierten Angeboten von Unternehmensberatung und Fortbildung über die VW-Zulieferer hinaus Kunden findet.

„Unternehmensberatung für Prozeßoptimierung“ heißt dieses Dienstleistungsangebot, für das die bei VW unter dem Titel „kontinuierlicher Verbesserungsprozeß“ (KVP) laufenden Rationalisierungsmaßnahmen Vorbild sind. Für die Verbesserungs-Workshops bei VW hat die Coaching GmbH bisher über 1.000 „ModeratorInnen“ geschult. Sie hatten jene Arbeitsgruppen zu leiten, in denen die MitarbeiterInnen selbst über die Beseitigung überflüssiger, für das Unternehmen nicht wertschöpfender Tätigkeiten berieten. Die Rationalisierungserfolge, die mit KVP erzielt wurden, hatten allerdings eine wichtige Voraussetzung: Viele MitarbeiterInnen waren wohl nur wegen der Beschäftigungsgarantie und des Kündigungsverbots bereit, ihr Wissen um Rationalisierungsreserven dem Unternehmen offenzulegen.

Dennoch: Bei der VW-Coaching glaubt man fest daran, die Erfahrungen mit den Rationalisierungs-Workshops auch an andere Betriebe verkaufen zu können. „Dieses Geschäftsfeld wächst zukünftig stark an“, sagt Rolf Rosch. Mindestens 20 Prozent ihres Umsatzes will die Bildungstochter mit Aufträgen Dritter erzielen. Dabei geht es natürlich auch um die Arbeitsplätze der Coaching-MitarbeiterInnen selbst. Denn die Nachfrage des Mutterkonzerns nach Bildungsdienstleistungen wird ab 1996 um einiges schrumpfen.

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