: „Wann demonstrieren denn die nackten Frauen?“
■ Hauptsächlich Gerüchte informierten ChinesInnen über das NGO-Frauenforum
„Am besten, man guckt gar nicht hin“, sagte eine Verkäuferin in Huairou, als sie auf die Demonstrationen auf dem Frauenforum angesprochen wurde. Allerdings mußte sie sich nicht sehr bemühen, wegzuschauen: Die meisten Aktionen blieben selbst den BewohnerInnen der Stadt verborgen. Was sich im Raumschiff Huairou abgespielt hat, wo 26.000 Frauen aus aller Welt zusammenkamen, drang nur in der offiziellen Version der hiesigen Medien an die chinesische Öffentlichkeit. In den Zeitungen erschienen die traditionellen Berichte über Politikerinnen, die Huairou besuchten, guten Erfolg wünschten und gelobten, auch in Zukunft gegen die Diskriminierung von Frauen zu kämpfen. Hillary Clintons Besuch hingegen wurde nur ganz kurz gewürdigt: Sie sei verantwortlich dafür, daß es bei ihrem Auftritt ein Durcheinander gegeben habe.
Chinesische Journalistinnen, die gern mehr geschrieben hätten, wußten: Es gab keine Chance dafür, daß ihre Beobachtungen abgedruckt würden. Das Thema Frauen aber war in den großen Zeitungen auf vielfältige Weise präsent: Es erschienen Artikel über tapfere tibetische Soldatinnen, über den Kampf gegen Armut von Frauen, über Schulunterricht für Mädchen. Daneben gab es lediglich Gerüchte über das, was sich in Huairou so abspielen mochte. „Wann demonstrieren denn die nackten Frauen?“ fragte eine junge Chinesin, die als NGO- Vertreterin am Forum teilnehmen durfte, mit hoffnungsvollem Schaudern. Die Behörden hatten jedenfalls vorsorglich Decken und Kleidungsstücke bereitgelegt.
Monatelang haben die chinesischen Medien die Weltfrauenkonferenz als ein Großereignis vorbereitet: „Seien wir würdige Gastgeber der 4. Weltfrauenkonferenz“, ermahnten Spruchbänder an Hotels, Wohn- und Kaufhäusern in Peking. Doch wer sind diese Gäste eigentlich? Was es mit den „Nicht- Regierungs-Organisationen“ auf sich hatte, war für die chinesische Öffentlichkeit schwer zu verstehen. Das Rätsel begann schon beim Begriff NGO, der wörtlich ins Chinesische übersetzt wurde – ein Kunstwort. Denn für die partei- und regierungsunabhängigen Einrichtungen, die sich seit Beginn der Reformen vereinzelt gebildet haben, hat sich ein ganz anderer Begriff eingebürgert: „Min ban de“, was „vom Volk organisiert“ heißt. Dazu zählen zum Beispiel Frauenforschungszentren und Kunstvereine, die ausdrücklich Wert darauf legen, daß sie nicht am Gängelband der Funktionäre geführt werden. In dem chinesischen Wort „NGO“ steckt aber etwas anderes: ein Hauch von Chaos. Denn es hört sich ganz ähnlich an wie „Anarchie“, was bei vielen Besorgnis auslöst. „Das könnt Ihr Ausländer nicht verstehen“, so ein chinesischer Geschäftsmann. „Wenn wir keine starke Regierung haben, dann bricht alles zusammen. So sind wir Chinesen eben.“
Die Pekinger Politiker hatten ihren offiziellen Frauenverband beauftragt, das NGO-Forum zu organisieren. Es fügte sich, daß die Leiterin dieser Nicht-Regierungs- Organisation, Chen Muhua, zugleich an der Spitze der chinesischen Regierungsdelegation bei der UNO-Weltfrauenkonferenz steht. Damit wurde noch nicht einmal eine Fiktion von Unabhängigkeit aufrechterhalten. Von vornherein war klar: Die Regierung würde jede Andeutung von „Chaos“ im Keim ersticken.
Die chinesischen Teilnehmerinnen in Huairou waren vorher mehrfach zur Vorsicht ermahnt worden. „Hoffentlich ist das alles bald vorüber“, stöhnte eine Chinesin, die seit Jahren in der Frauenarbeit aktiv ist, „dann können wir wieder in Ruhe arbeiten.“ Sie gehört nicht zu den bekannten Dissidentinnen wie Dai Qing und Ding Zilin, die von den Behörden „überredet“ wurden, Peking während der Konferenz zu verlassen, damit die ausländischen Medien sie nicht befragen können. Die Überwachung war trotzdem scharf: „Besuch' mich lieber nach der Konferenz“, sagte eine chinesische Wissenschaftlerin, „jetzt ist es politisch nicht günstig.“ Chinesinnen, die von ausländischen Journalistinnen interviewt worden waren, wurden Berichten zufolge anschließend von der Polizei verhört.
„Frauenkonferenz? Ja, unsere Regierung tut viel für die Frauen. In Peking sind sie schon gleichberechtigt“, verkündete ein Mann in einem Restaurant in der Pekinger Südstadt. Die Kellnerin drehte sich um, hob die Augenbrauen und schwieg. Jutta Lietsch
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