: Spießersport und letzter Schrei
Das Kegeln – schon im alten Ägypten gepflegt, im Mittelalter als übles Glücksspiel verfolgt und später als spießig verteufelt – kommt wieder in Mode ■ Von Stefan Maiwald
Berlin (taz) – Klaus Lage, der Troubadix unter den Deutschrockern, wußte schon in den achtziger Jahren um die tiefere Bedeutung des Kegelsports. In seinem Lied „Tausendmal berührt“ besingt er die finale Voraussetzung fürs Fummeln mit der Nachbarin: „Deine Eltern sind damals mit meinen Kegeln gefahr'n.“
Richtig trendsetzend, der Mann, denn in den Neunzigern entdeckt die Szene diese wohl deutscheste aller Sportarten: Parties und Geburtstage werden von ausgelassenen jungen Menschen wieder in Kegelheimen gefeiert, und die Hamburger Künstlerin Karen Koltermann verlegte im Juni ihre Vernissage vom Atelier auf die Kegelbahn der Kneipe „Bei Manni“ und bat darum, Turnschuhe mitzubringen. Der Kräuterschnaps baute letzte Hemmungen ab; erst scheu, dann entschlossen, schließlich fanatisiert, kegelten die Gäste drauflos. Als passendes Beiwerk hingen Elvis-Presley- Porträts der Künstlerin an den Wänden.
Kegeln gehen – es konnte ja nur eine Frage der Zeit sein, bis nach Nationalstolz und Bundeswehr- Kampfeinsatz auch das letzte linke Tabu fällt. Die rund 120.000 Menschen, die im Deutschen Keglerbund (DKB) organisiert sind, haben da natürlich weniger Berührungsängste. Die Mitgliederzahlen sind stark rückläufig (möglicherweise ein biologisches Problem), obwohl der DKB sich mächtig Mühe gibt und es jedem recht machen will: Die Bahnen unterteilen sich in die süddeutschen Asphaltbahnen, die etwas längeren Bohlebahnen Norddeutschlands und die Y-förmigen Scherenbahnen des Westens.
Für jede Bahn werden eigene Meisterschaften ausgespielt. Hinzu kommen noch die vielen verschiedenen Altersklassen sowie Einzel-, Doppel-, Mixed- und Mannschaftswettbewerbe, und fertig ist der Wirrwarr. Auch das Bowling, die amerikanische Variante mit zehn statt neun Kegeln und weiteren kleineren Modifikationen, findet unter der Obhut des DKB statt. Ein netter Zug übrigens, das Bowling im DKB zu integrieren. In den meisten anderen Sportverbänden ist man wesentlich verklemmter, wenn es um die Eingliederung konkurrierender Disziplinen geht.
Die Scherenbahn-Weltmeisterschaften im Juni 1995 in Iserlohn bescherten dem deutschen Team viermal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze. Doch klagend heißt es im offiziellen DKB-Organ Kegeln und Bowling, daß „die Spielerinnen und Spieler der übrigen Nationen nicht mehr die Kulisse für die überlegenen Deutschen“ gewesen seien. Star der WM nämlich war ein Brasilianer. Der 23jährige Rogério Arkie aus São Paulo schockte die verwöhnten Kegelbrüder – die um so fassungsloser waren, als sie erfuhren, daß Arkie bei den brasilianischen Meisterschaften gerade mal Dritter geworden war und die vor ihm Plazierten nur aus finanziellen Gründen bei der Weltmeisterschaft fehlten. „Kommt doch mal zu uns“, forderte er die Europäer, die er während des hochspannenden Finales bereits zum Sambatanzen animierte, keck auf.
Wenn schon Brasilianer Weltmeister werden, dann ist es vielleicht doch kein so übler Sport. Die Geschichte des Kegelns jedenfalls zeigt dessen verwegene Ursprünge auf, die so gar nichts zu tun haben mit der seltsamen Mischung aus Spießigkeit und Ausgelassenheit, die vorgeblich zu diesem Sport gehört wie der Knick ins Sofakissen. 5.000 Jahre alte Funde in Ägypten Gräbern beweisen, daß es dort eine Art Tischkegeln gab. Griechen, Römer, Kelten und Germanen hingegen kannten das Spiel nicht. Das heutige Kegeln geht auf ein Glücksspiel des Mittelalters zurück. Aber auch in Klöstern wurde der Sport betrieben, wobei der zu treffende Kegel schlicht und einfach „das Böse“ symbolisierte.
Der Dichter Hugo von Trimmberg fertigte um das Jahr 1300 die Kegelspieler kurz und bündig ab: Er kritisierte das Spiel als „affenheit“, daß „dui schaden bringet und leit“. Versöhnlich heißt es dann immerhin, daß „riemenstecher und kêglêr“ längst nicht so viel betrügen wie falsche Geistliche, Roßärzte und böse Juristen. Bei den damaligen Spielen ging es wüst zu. Oft verwetteten die Spieler Haus und Hof und prügelten sich wie nichts Gutes. Das ging den Obrigkeiten zu weit, der Sport wurde in Deutschland, England und Frankreich verboten. In Braunschweig etwa durften „rovere“ (Räuber) und „keghelere“ (Kegler) nicht in der Stadt verweilen.
Allmählich wandelte sich das Glücksspiel zum Freizeitvergnügen. Der Amtmann Johann Fischart zählte 1575 auf, was für ihn zu einem rundum gelungenen Abend gehört: „Sich an einem Stucke Pöckelfleisch sattessen, eine Kanne Dukstein daraufsetzen und nach der Mahlzeit zur nötigen Leibesbewegung eins kegeln.“ Auch in England setzte sich das Kegeln gegen die Verbote durch. Jedes Schulkind dort weiß, daß Sir Francis Drake gerade beim Kegeln war, als man ihm 1588 die Bedrohung durch die Armada meldete. Goethe ließ zwar im „Faust“ den Famulus Wagner mosern: „Das Kegelschieben ist mir ein gar verhaßter Klang“, aber er selbst hatte Verständnis, wenn er „die Gesellschaften sich ergötzen sah, die Kegelkugeln rollen und Kegel fallen hörte“. Ähnliches hat er nachweislich nie über Bungee-Jumping oder Inline-Skating gesagt.
Auf den Punkt bringt es Al Bundy. Nachdem eine Maus sein heiligstes Sportgerät beschmutzt hat, ruft er: „Niemand scheißt in meine Bowling-Schuhe und lebt!“ Eine gesunde Einstellung.
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