: Ohne Papiere existiert der Kunde nicht
■ Unerbittlich korrekte Post: Wer seine eigene Existenz nicht mit dem richtigen Ausweis nachweisen kann, scheitert trotz bester Argumente und muß zurück auf Los
Wer wird heute schon noch wütend? An so vieles haben wir uns gewöhnt. So ziemlich jeder dürfte allerdings dieses Gefühl von Resignation kennen, wenn mal wieder eine Postbenachrichtigung über einen Einschreibebrief im Briefkasten liegt, die einem mitteilt, daß selbiger ab heute – aber nicht vor siebzehn Uhr! – im Postamt abgeholt werden könne.
Ich finde solche Nachrichten immer, wenn ich das Haus verlasse, um zur Arbeit oder zum Einkaufen zu gehen. Ich war aber nicht angetroffen worden, wie mir die Benachrichtigung vorwurfsvoll mitteilt. Kaum erstaunlich, wenn man bedenkt, wo der Postbote offensichtlich nach mir gesucht hat. Wenn er erwartet hatte, daß ich meinen Vormittag neben meinem Briefkasten verbringe, hat er mich natürlich nicht antreffen können.
Ich kenne Leute, die in Erwartung eines bestimmten Briefes Zettel an den Briefkasten hängen: „LiebeR PostzustellerIn, ich bin zu Hause! Bitte klingeln Sie, ich komme herunter!“ Auch diese Leute finden mittags selbstverständlich nur den Zettel mit der Benachrichtigung.
Ich mache mich also auf den Weg zum Postamt. Dort stelle ich fest, daß ich meinen Ausweis vergessen habe. Dafür habe ich meine BahnCard dabei. Das Fräulein hinter der schußsicheren Wand lehnt es aber ab, sich bei der Feststellung meiner Identität an dieser zu orientieren, da auf der BahnCard kein Foto von mir drauf sei. Ich spreche von einem Indiz, das immerhin geeignet sei, meine Behauptung über meine Identität zu stützen und biete ihr an, auch eine ec- Karte, ausgestellt auf dieselbe Person, die ich zu sein behaupte, sowie meinen Bibliotheksausweis vorzulegen (bei BVG-KontrolleurInnen komme ich damit immer durch).
Nein, mein Gegenüber zieht sich auf das formale Argument zurück, mir sei schließlich auf der Benachrichtigung mitgeteilt worden, welche Identitätspapiere ich mitzubringen habe. Mein Gegenargument: Jeder, der sich zu dem Zeitpunkt der Zustellung zufällig in meiner Wohnung aufgehalten hätte, hätte den Brief auch ohne Vorzeigen eines Ausweises erhalten. Ich dagegen bewiese immerhin dadurch, daß ich die Postkarte in den Händen halte, daß ich Zugang zu meinem Briefkasten und damit vermutlich auch zu meiner Wohnung habe.
Den Einstieg in eine inhaltliche Diskussion verkneife ich mir aber, schließlich schützt das Panzerglas mich nur vor Übergriffen durch die Frau auf der anderen Seite und nicht vor der Schlange hinter mir. Ich murmele noch etwas von einer halben Stunde, die ich von meiner Wohnung zum Postamt laufen muß, und ziehe unverrichteter Dinge wieder ab.
Am nächsten Tag habe ich meinen Rucksack besser gepackt und alle Unterlagen dabei. Dafür ist die Frau nicht mehr da. Der Schalter ist vorübergehend geschlossen, die anderen Schalter sind nicht zuständig. So bilde ich ganz für mich allein eine Warteschlange vor dem geschlossenen Schalter.
Endlich halte ich meinen schwer erkämpften Brief in den Händen. Die Schalterbeamtin hat nicht ein einziges Mal das Foto auf meinem Ausweis angeschaut, geschweige denn den Ausweis auf seine Übereinstimmung mit meiner Person oder der des Empfängers verglichen – ich habe genau aufgepaßt! Karsten Lorenz
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