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Ein Brückenkopf beim Klassenfeind

■ In Kreuzberg will die PDS erstmals in eine Westberliner BVV einziehen, und die Chancen stehen dafür nicht schlecht. Die Inhalte unterscheiden sich von denen der Grünen allerdings nur durch die Rhetorik

Auch Revolutionäre und solche, die es gern noch wären, müssen mal feiern. Schließlich kann man nicht tagaus, tagein das „kapitalistische System von seinen Wurzeln her bekämpfen“. Also lud die Kreuzberger PDS am Samstag zum „antirassistischen Straßenfest“, um so ihren Wahlkampf zu eröffnen.

Kreuzberg soll für die Berliner PDS zum Brückenkopf im Westen der Stadt werden, erstmals will die PDS hier am 22. Oktober in eine Westberliner BVV einziehen. Die Aussichten sind nicht schlecht. Rund 4.500 Kreuzberger machten schon bei den Bundestagswahlen im letzten Jahr ihr Kreuz bei den demokratischen Sozialisten und bescherten ihnen hier 7,5 Prozent. 3.000 Kreuze bei den BVV-Wahlen würden für die PDS hier den Durchbruch bringen.

Von der bosnischen Volkstanzgruppe, über den kaukasischen Flötenspieler bis zum Hardrock made in Kreuzberg ist alles aufgeboten, was man für eine gute Party braucht. Die Stimmung auf dem Zickenplatz ist gut, zumal das Wetter mitspielt. Micha Prütz, Sprecher der Kreuzberger Genossen, atmet erleichtert auf, als sich am Nachmittag der Platz füllt. Zwischen 2.000 und 3.000 Besucher hat er über den Tag gezählt.

Natürlich werden auch Reden gehalten, doch was die PDS-Kandidatin Angela Klein in der Kreuzberger BVV will, interessiert die Besucher nur am Rande. Klein weiß, daß die PDS gegen Kreuzbergs Volksparteien SPD und Grüne in der BVV wenig ausrichten wird. Aber mit denen, die bei der „Yuppisierung“ Kreuzbergs durch das soziale Netz fallen, will die 45jährige Redakteurin einer linkaradikalen Monatszeitschrift „neue außerparlamentarische Widerstandspotentiale“ entwickeln. Doch die Forderungen nach Verlängerung der Ostberliner Straßenbahn nach Kreuzberg, nach mehr Verkehrsberuhigung und größerer Autonomie der Bezirke sowie dem Erhalt der kieznahen Arbeitsplätze in Industrie und Gerwerbe sind wenig originell. Es fällt schwer, substantielle Unterschiede zur grünen Konkurrenz zu entdecken – sieht man einmal von der radikalen Rhetorik ab.

Das hat wohl auch die Kreuzberger PDS erkannt und für die Abgeordnetenhauswahlen im Wahlkreis 1 vorsorglich keinen eigenen Kandidaten aufgestellt. Hier hat der grüne Kandidat Riza Baran, ein Kurde mit deutschem Paß, gute Aussichten, direkt ins Abgeordnetenhaus einzuziehen. Dem wollte die PDS nicht im Wege stehen, zumal sie in Baran einen Repräsentanten des linken Parteiflügels ausgemacht hat.

Von dem Streit, der über Monate die Arbeit der Kreuzberger Genossen gelähmt hat, ist keine Rede mehr. Dirk Schneider, der Kreuzbergs parteiinterne Opposition anführt, läßt sich nur am Abend kurz blicken. Doch der Machtkampf darum, welche linksradikalen Truppen von Westen her die PDS unterwandern dürfen, ist entschieden. Mit etwa zehn Gleichgesinnten hat Schneider seine Basisorganisation verlassen und mit Truppenteilen aus anderen Bezirken das „Forum West“ gegründet. In flammenden Worten werden dort die „putschistischen Vorgänge“ in der PDS-Kreuzberg und die Abkehr der PDS von der „sozialistischen Politik“ gebrandmarkt. Jetzt wollen die rund 30 Klassenkämpfer prüfen, ob sie sich innerhalb oder außerhalb der PDS organisieren. Doch weder die verbliebenen rund 80 Kreuzberger Genossen noch der Landesvorstand, so gibt man dort unumwunden zu, würden ihnen eine Träne nachweinen.

Natürlich darf auch beim PDS- Wahlkampf die Prominenz nicht fehlen. Am Abend kommt auch noch Gregor Gysi. Er hat vor allem ein schlagendes Argument parat: Schließlich könne man mit kaum etwas den dicken Kohl mehr ärgern als damit, die PDS zu wählen.

Nur die stellvertretende Parteivorsitzende der PDS, Angela Marquardt, verzichtete auf eine kämpferische Wahlkampfrede und stellte sich statt dessen mit ihren Jungen GenossInnen den ganzen Tag zum Bierausschank hinter den Tresen. Doch auch damit knüpft sie an ein gutes Stück Kreuzberger Tradition an, denn so mancher Revolutionär im Kiez ist schon zum Zapfer geworden.

Oder wollte sie dem Kneipier Norbert Hänel Konkurrenz machen? Denn bei der Wahl könnte die Spaßtruppe des Wahren Heino ausgerechnet den PDS-Genossen in Kreuzberg die entscheidenden Stimmen klauen. Die Forderung von Kreuzbergs Patriotischen Demokraten (KPD/RZ) nach „Rauchverbot in Einbahnstraßen“ zumindest stößt bei vielen Wählern inzwischen auf heimliche Zustimmung. Christoph Seils

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