: Lebenssinn für „Buben und Mädels“
Einstimmig sagt der CSU-Parteitag ja zum Kreuz in bayerischen Schulen. Der miese Zustand der SPD gilt als „Gottesgeschenk“. In der Partei herrschen Harmonie und Selbstzufriedenheit ■ Aus München Bernd Siegler
Zuerst sollte sich „der Herr erbarmen“ – für den Frieden auf Erden, für leidgeplagte Kinder und Eltern und natürlich auch für die in den letzten Jahren nicht gerade wenigen „persönlichen Irrungen“ der Mandatsträger der Christlich- Sozialen Union. Dann ließen sich die über 1.000 Delegierten und die gesamte Führungsspitze der bayerischen Regierungspartei auf ihrem Landesparteitag noch „vom allmächtigen Gott segnen“, bevor sie sich auf ihre Weise revanchierten. Einstimmig sagten sie „ja zum Kreuz in Bayerns Schulen“. Mit einem eigenen Gesetz soll das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen werden.
Ministerpräsident Edmund Stoiber drückt das natürlich vornehmer aus. Das 2,50 Meter große Kreuz (ohne Christuskorpus) an der Stirnwand der Münchner Bayernhalle fest im Blick, tönt er kämpferisch: „Wir respektieren das Urteil, aber wir akzeptieren es inhaltlich nicht.“ Und das Parteivolk tobt vor Vergnügen. Kreuze gehörten eben, fährt Stoiber fort, zu Bayern „wie die Berge und der Chiemsee“, sie gäben den „Buben und Mädels“ die nötige „Sinnstiftung und Orientierung“.
Solche „Grundsatz- und Prinzipientreue“ im Bayernland findet die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel als Gastrednerin einfach „toll und bewegend“. Auch der CDU/CSU- Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Schäuble, dankt der CSU für die „klaren Worte“. Für ihn sind diese um so nötiger, denn er ortet überall „Verkommenheit“. „Die Demokratie verkommt“ angesichts der „Verkommenheit der Sozialdemokraten“, „Freiheit und Toleranz verkommt“ angesichts des „falschen Kruzifix-Urteils“, und der „innere Friede und die innere Sicherheit verkommt“, wenn die Chaostage in Hannover Schule machten. Wo alles „verkommt“, ist „die Verantwortung für die Union groß“ – wie gut, daß es da neben der CDU auch eine „starke CSU gibt“.
Nicht nur stark. „Die CSU ist ein großartiges politisches Gebilde“, lobt Parteichef Waigel. Von der Basis dieser „dynamischsten und modernsten Partei in Deutschland“ läßt er sich gerne mit 95,1 Prozent zum Vorsitzenden wählen. Glatt wird auch das Quartett seiner vier StellvertreterInnen wiedergewählt. Nicht einmal die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier erhält den angesichts ihrer ungeschickten Protektion für ihren skandalbelasteten Bruder Max Strauß erwarteten Denkzettel. „Der Parteitag läuft glänzend“, resümiert Waigel.
Satt und zufrieden ist die Partei. Niemand redet mehr von den Amigo-Affairen, ausgestanden ist das Gerangel zwischen Stoiber und Waigel, die „Republikaner“ sind erledigt, und vergessen sind die Attacken aus Kirchenkreisen gegen die harte und unduldsame Asylpolitik der Staatsregierung. Geschickt hat die CSU es verstanden, vor allem die katholischen Bataillone nach dem Kruzifix-Urteil um sich zu scharen. Das Karlsruher Urteil ist ein Glücksfall für die Partei.
Ungemach ist für die CSU weit und breit nicht in Sicht, vor allem dank der zerstrittenen SPD. Die ist den CSUlern nicht ganz geheuer. „Wir haben keinen Spaß an dieser Opposition“, klagt Stoiber. Für Waigel hat die SPD den „Tiefpunkt ihrer politischen Geschichte erreicht“, der nur mehr „tiefenpsychologisch zu erklären“ sei. Eine solche Opposition in Bonn und Bayern kommt ihm – was sonst – „wie ein Gottesgeschenk“ vor. Damit alles so bleibt, wie es ist, will der CSU-Chef, daß Helmut Kohl „noch über 1998 hinaus regiert“.
Doch bevor sich in der Union die Frage der Kanzlerkandidatur stellt, steht im Freistaat der Volksentscheid „Mehr Demokratie in Bayern“ an. Den von SPD, Grüne, FDP und anderen Gruppierungen angestrebten Ausbau der Bürgerbeteiligung im Freistaat diskreditiert man geschickt als „Diktat von Minderheiten“. Da läßt sich die verschuldete Partei nicht lumpen: Mit einer 800.000 Mark teuren Materialschlacht soll die Initiative niedergerungen werden.
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