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In Würde abtreten

■ Tagung zu Sterbebegleitung: Patientenverfügungen und verbesserte Schmerztherapien öffnen neue Wege

Berlin (taz) – Christian Blüm starb friedlich: Die Kinder hielten seine Hände, alle beteten leise das Vaterunser. Die Ehefrau flüsterte ihm noch die schönsten gemeinsamen Erinnerungen ins Ohr. „Gretel, das war alles sehr schön“, waren seine letzten Worte. So wie der Vater von Sozialminister Norbert Blüm gehen die wenigsten aus dieser Welt: Nicht einmal zehn Prozent der Menschen in Deutschland sterben zu Hause. Wie das anders werden kann, darüber unterhielten sich gestern Experten auf einer von Blüm einberufenen Tagung zum „Humanen Sterben“ in Berlin.

Um die medienträchtige aktive Sterbehilfe ging es dabei weniger als um die Angemessenheit medizinischer Behandlung und die verbesserte psychosoziale Betreuung. Erst vereinzelt gibt es in der Bundesrepublik sogenannnte „Palliativstationen“, auf denen Todkranke von eigens dafür ausgebildeten Teams versorgt werden. Einzelschlafzimmer und ein Wohnzimmer mit Kochgelegenheit gehören zur Ausstattung, berichtete Eberhard Klaschik, Chefarzt einer solchen Station im Malteser-Krankenhaus in Bonn-Hardtberg. Klaschik befürwortete eine „aggressive, bissige“ Schmerztherapie – zumeist mit Opiaten – die todkranken Tumorpatienten noch eine erträgliche Lebenszeit läßt.

Ein Patient war zu ihm aus der Psychiatrie gekommen, weil er wegen seiner großen Schmerzen einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Die Tochter, die sich von ihm vor langer Zeit abgewendet hatte, wurde von den Ärzten hinzugezogen. Sie entschloß sich, ihren Vater bis zum Tode auf der Station zu pflegen. Die Palliativ- Ärzte unterstützen auch die ambulante Versorgung: 57 Prozent von Klaschiks Patienten werden wieder nach Hause entlassen.

Die ambulante Sterbebegleitung wird von der Hospizbewegung getragen. Rund 300 bis 350 Hospizinitiativen gibt es in Deutschland, „viele Ehrenamtliche, vor allem Frauen, arbeiten dort mit“, erklärte Heinrich Pera, Klinikseelsorger an einem Tageshospiz in Halle/Saale. Die Kommunikation mit den Sterbenden geschehe dabei „am wenigsten verbal“. Eine Berührung, die Bedeutung von Symbolen, etwa frischer Blumen, das sei für die Sterbenden manchmal viel wichtiger, so Pera. Jeder zehnte seiner Klienten ist ein sterbendes Kind.

Viele interessierten sich für Hospizarbeit, erklärte Pera, aber nicht jeder sei geeignet. Die HelferInnen müßten vor allem die Balance zwischen helfender Nähe und heilender Distanz zu den Kranken halten können. „Viele Helfer möchten immer bei dem Patienten bleiben.“ Bei den meisten Hospizgruppen, etwa der Berliner Arbeitsgemeinschaft für Sterbebegleitung und Lebensbeistand (AGSL), müssen die Ehrenamtlichen einen Ausbildungsgang absolvieren. Die AGSL bietet einen Lehrgang mit 70 Doppelstunden in Blockseminaren an, so AGSL- Koordinatorin Heidi Schaefgen. Für den neuen Lehrgang gebe es schon 30 InteressentInnen, „dabei können wir nur 16 unterbringen“. Im Gegensatz zu vielen anderen sozialen Feldern könnte die Hospizbewegung nicht über mangelnden Zulauf an Ehrenamtlichen klagen, berichtete Christian Petrich, Referatsleiter für medizinische Fragen am Sozialministerium. Oftmals seien es die Angehörigen, die davor zurückscheuten, den Kranken zu Hause zu betreuen.

Experten auf der Tagung beklagten die mangelhaften deutschen Richtlinien zur Sterbehilfe. Die Richtlinien fordern nur, daß der Kranke „in Würde zu sterben vermag“. Der Erlanger Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling wies darauf hin, daß die Schweizer Richtlinien beispielsweise erlaubten, Sondenernährung und künstliche Beatmung nicht zu beginnen, wenn ein irreversibler komatöser Zustand vorliege. Wuermeling empfahl das Abfassen einer „Patientenverfügung“, in der sich ein Betroffener im Vorfeld gegen lebensverlängernde Maßnahmen aussprechen und außerdem eine „Vertrauensperson benennen kann.

Nur in einem australischen Bundesstaat existiere ein regelrechtes Gesetz, daß Todkranken unter ganz bestimmten Umständen gestattet, mit medizinischer Hilfe aktiv aus dem Leben zu scheiden, so Hans-Georg Koch vom Max- Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Barbara Dribbusch

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