piwik no script img

Die Nato ist in Bosnien jetzt Kriegspartei und Ordnungsmacht

■ Unter US-Führung soll der Friedensplan militärisch durchgesetzt werden. Eine Eskalation des Krieges droht.

„Es war schrecklich“, sagt Dragan Saran, der am Oberschenkel und an der rechten Hand verletzt wurde. „Die Leute in dem Kiosk wurden regelrecht zerfetzt.“ In einem Anruf bei Radio 99 weinte ein 16jähriges Mädchen um ihre Schwester, die bei dem Angriff getötet wurde. Ein Arzt des Krankenhauses in Ilidza sagte gegenüber einer amerikanischen Journalistin, daß eine Granate in eine Gruppe von Menschen an einer Bushaltestelle einschlagen sei. Das Fernsehen in Pale zeigte einige Verletzte und trauernde Angehörige, aber keine Leichen. Inzwischen geht die UNO aber offensichtlich davon aus, daß bei einem Granatangriff der Schnellen Eingreiftruppe bei Ilidza am vergangenen Freitag Zivilisten getroffen wurden, auch wenn die bosnischen Serben eine eigene Untersuchung durch die UNO bislang sabotiert haben.

Trotz der zivilen Opfer intensivierte die Nato ihre Angriffe. Erstmals wurden am Sonntag abend 13 Cruise Missiles vom Typ „Tomahawk“ auf die Region um Banja Luka abgefeuert. Nach Nato- Angaben galt der Angriff einem serbischen Radarsystem und einer Kommandozentrale der Luftabwehr.

Mit dem Einsatz der vom US- Flugzeugträger „Normandie“ abfeuerten Cruise Missiles wurde nicht nur das eingesetzte Waffenarsenal erweitert. Mit der Region um Banja Luka wurde auch das Angriffsgebiet der Nato in Bosnien weiter ausgedehnt. Die Zerstörung des bosnisch-serbischen Luftabwehrsystems könnte eine Eskalation der Bombenangriffe auf eine Reihe neuer Ziele nach sich ziehen.

Nach Angaben des bosnisch- serbischen Oberkommandos kamen bei dem Angriff Hunderte von Menschen um. Es seien hauptsächlich zivile Ziele sowie Elektrizitäts- und Wasserwerke getroffen und Brücken zerstört worden.

Der Einsatz von Cruise Missiles wird von Beobachtern als ein Zeichen wachsender Frustration auf seiten von Nato und UNO gedeutet, die mit den bislang eingesetzten Mitteln trotz der bisher mehr als 2.600 Einsätze die bosnischen Serben nicht zu einem Abzug ihrer schweren Waffen um Sarajevo hatten zwingen können. Nebel und schlechtes Wetter hatten zudem wiederholt zu einem Aussetzen der Angriffe geführt. Die Cruise Missiles können dagegen bei jedem Wetter eingesetzt werden.

Seit Beginn ihrer Angriffe am 30. August hat die Nato nach eigenen Angaben hauptsächlich Luftabwehrsysteme, Kommunikationseinrichtungen, Brücken und Munitionslager angegriffen. Acht Angriffe hätten allein dem Militärcamp bei Lukavica gegolten, von wo Sarajevo wiederholt unter Beschuß genommen worden war. Die rund 300 schweren Geschütze um Sarajevo, hieß es bei der Nato, seien dagegen gut getarnt und aus der Luft nur schwer zu treffen. Im Rahmen einer stufenweisen Eskalation könnten diese Geschützstellungen das nächste Nato-Ziel sein, allerdings nur mit ausdrücklicher Zustimmung der UNO.

Nach Recherchen der Washington Post wurde die Entscheidung für Nato-Militärschläge Anfang Juni in Washington getroffen. Das Ende des von Ex-Präsident Jimmy Carter vermittelten Waffenstillstands zu Jahresbeginn, der drohende Zusammenbruch der gesamten UNO-Mission in Ex-Jugoslawien, die Demütigung Clintons im republikanisch beherrschten Kongreß und der näherrückende Präsidentschaftswahlkampf hätten den US-Präsidenten veranlaßt, seine bisherige Zurückhaltung aufzugeben und unter kombiniertem Einsatz von militärischen und diplomatischen Schritten eine Befriedung in Ex-Jugoslawien zu erzwingen. Clinton, so die Washington Post, habe damit auch akzeptiert, daß nur eine Teilung Bosniens ein Ende des Krieges herbeiführen könne. Genau dies ist der Kern der am Freitag in Genf getroffenen Vereinbarung. Die USA haben damit allerdings auch die Kriegsziele von Serbenführer Karadžić akzeptiert. Karadžić indessen will sich nicht mit 49 Prozent des Gebiets von Bosnien zufriedengeben. Auch deshalb wird weitergebombt. Georg Baltissen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen