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Lieber modern

■ SPD verzichtet auf Einwanderungsgesetz

Über Monate stand die Frage „Wer steht für die SPD?“ so im Vordergrund, daß es als abwegig galt, zu fragen: „Wofür steht die SPD?“ Jetzt scheint der Personalstreit beigelegt und die SPD, so Rudolf Scharping, auf dem Weg aus der Krise. Man könne sich wieder den Sachthemen zuwenden.

Wenn er glaubte, damit Klarheit und Richtung zu signalisieren, so irrte der Vorsitzende. In der Sache zeigt die Partei eine Desorientierung, die der in ihrem Personaltableau kaum nachsteht. Der Vorstand will nicht weiter an dem Projekt eines Einwanderungsgesetzes festhalten. Weder der Verweis auf die ungünstige Altersstruktur der Bevölkerung noch der mögliche Bedarf an Arbeitskräften mag die Sozialdemokraten dazu bewegen, eine Zuwanderung nach Deutschland gesetzlich in anderer Form zu steuern, als dies mit den bestehenden Regelungen geschieht. Die gewundene Formulierung ist leicht zu decodieren: Auch für die SPD ist das Boot voll. Die CDU wird sie zu dieser Erkenntnis beglückwünschen, die sie doch schon vor drei Jahren hätte gewinnen können, bei der Änderung der Asylrechtsregelungen. Damals scheiterte die SPD mit ihrem Anliegen, eine fortschrittliche Einwanderungsregelung gleich mit zu vereinbaren. Ein Grund, weshalb sie das, was sie hernach als Kompromiß verkaufte, als eigene Niederlage empfand. Seitdem schrieb sie sich dieses Gesetzesvorhaben auf jede Fahne, zuletzt in ihr Regierungsprogramm von 1994. „Wir werden ein Einwanderungsgesetz schaffen“, hieß es dort. Jetzt drängen sich Zweifel daran auf, was überhaupt seriös an den damaligen Versprechen war.

Nun haben sich seit dem Oktober letzten Jahrens die demographischen Verhältnisse kaum geändert. Weshalb also die Kursänderung? Noch im Herbst ist ein Spruch des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten, der eine Änderung der Asylpraxis erzwingen könnte; für die SPD eigentlich die Chance, ihre Scharte von 1992 auszuwetzen. Prophylaktisch hat Wolfgang Schäuble bereits davor gewarnt, den damaligen Kompromiß in Frage zu stellen, „das würde unserem Land nicht guttun“. Die SPD vernimmt die Botschaft und weicht, bevor sich der öffentliche Druck entfaltet. „Leitlinien einer modernen Integrationspolitik“ nennt sich, was mit der Politik der SPD bislang kaum vereinbar war. Daß es zwischen modern und sozialdemokratisch einen gravierenden Unterschied gibt, wurde jüngst Gerhard Schröder vom Parteivorstand drastisch beigebracht. Doch wer bringt es jetzt dem Parteivorstand bei? Dieter Rulff

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