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Point 'n' ClickBild und Akte Václav Havel

■ „Amnesty Interactive“ – eine CD-ROM über die Coolness sozialen Engagements

Das einzige, was an dieser CD- ROM nicht gelungen ist, ist die Einführung: Wie bei einem Dia- Vortrag erscheinen Bilder von Menschen aus aller Welt auf dem Computer-Monitor, bevor die sonore Stimme von „Mr. Spock“ Leonard Nimoy beginnt, über amnesty international zu sprechen. Die Non-Profit-CD-ROM- Produktion „Amnesty Interactive“ will die Ziele und Aktivitäten der 1961 gegründeten Menschenrechtsgruppe darstellen.

Und das gelingt ihr auf eindrucksvolle Weise: Multimedial exzellent aufbereitet, stellt „Amnesty Interactive“ nicht nur die Organisation amnesty vor, sondern bezieht den Benutzer durch Videos, Musik und fetzige graphische Gestaltung mit ein. In dem Menü „People“ finden wir Menschen, für die sich amnesty erfolgreich eingesetzt hat: Mit Bild und Akte erscheint zum Beispiel Václav Havel. Von seinem Portrait kann man zu einer Landkarte der tschechischen Republik weiterschalten oder einen aktuellen Bericht über die Menschenrechtslage in der ehemaligen ČSSR abrufen.

Auf Mausklick spricht Peter Gabriel bei einer Pressekonferenz über Menschenrechte, gibt Jackson Brown ein Benefiz-Konzert und erklärt Cory Clover von der Band Living Color, wie amnesty organisiert ist. Noch Fragen? In dem Menü „Ideas“ erklären amnesty-Aktivisten, was man selbst tun kann, um die Menschenrechtsgruppe zu unterstützen.

„Amnesty Interactive“ fehlt jedes Pathos: Die graphischen Oberflächen sind schick, die Kurzfilme, die die 30 Paragraphen der Menschenrechts-Charta der UNO illustrieren, erinnern zum Teil sogar an die berühmt-berüchtigten MTV-Trailer, und das ganze Programm ist ohne irgendwelche Computerkenntnisse zu bedienen. Wem die Multimedia- Schau nicht genügt, der kann historische Texte und amnesty-Dokumente aufrufen und über die eigene Textverarbeitung ausdrucken.

Und so gelingt „Amnesty Interactive“ etwas, das in unseren unfreundlichen Zeiten immer schwerer wird: soziales Engagement als etwas Cooles darzustellen. Einziger Nachteil: Für den deutschen Markt wurde „Amnesty Interactive“ nicht synchronisiert, so daß Kinder und Teenager, für die diese Produktion in erster Linie gedacht zu sein scheint, wohl nicht viel davon haben werden. Andererseits: Per Mausklick kann man Statements und Interviews nach Belieben wiederholen.

„Amnesty Interactive“ wird von der amerikanischen Software-Firma Voyager zum Selbstkostenpreis vertrieben. So viel Menschenfreundlichkeit bei einem recht jungen Multimedia- Unternehmen ist eigentlich überraschend. Doch Voyager-Boß Robert Stein war in seinem früheren Leben immerhin mal Vorsitzender der Kommunistischen Partei der USA. „Amnesty Interactive“ kostet darum nur 29 Mark, ein Preis, der nicht gerade gegen die Menschenrechte verstößt.

Das klingt wie ein dummer Kalauer, ist aber ganz ernst gemeint: Denn auch Bildung, so lernen wir von „Amnesty Interactive“, ist ein Menschenrecht. In Paragraph 26 der „Universal Declaration of Human Rights“ der UNO wird ausdrücklich „the right to education“ aufgeführt. Allerdings: Im Augenblick kosten einigermaßen interessante CD-ROM-Produktionen locker über 100 Mark. Das ist mehr als doppelt soviel, wie man für eine gebundene Buchneuerscheinung bezahlen muß. Öffentliche Bibliotheken beschränken sich daher meist auf eine Handvoll veralteter Computerprogramme. Aber bisher kann man den Multimedia-Computer noch nicht von der Steuer absetzen und wird darum auch keinen kaufen, wenn das Geld knapp ist. Und das könnte schon bald ein Problem werden.

Die Befürchtung ist berechtigt, daß sich die Gesellschaft in den Ländern der Ersten Welt langsam teilt: nämlich in diejenigen, die sich die Geräte leisten können, um CD-ROMs zu benutzen (oder um ins Internet und so weiter zu gehen) und in die Info-Habenichtse. Darum müßten öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Unis und Büchereien ihren Usern die nötige Hardware zur Verfügung stellen, um diese neuen digitalen Informationsangebote nutzen zu können. Gerade für Kinder sind inzwischen einige hervorragende Multimedia-Anwendungen zu Natur, Ökologie und Geschichte zu haben.

Produktionen wie „Amnesty Interactive“ lassen ahnen, was für ein Bildungspotential in diesem neuen Medium steckt. Jeder sollte es nutzen können. Tilman Baumgärtel

Amnesty Interactive, Voyager/ Systhema, 29,90 DM, CD-ROM ab Macintosh 68030 oder Windows 3.1, englisch. Die Internet- Adresse von amnesty international ist ‚‚ http://iguana.inesc .pt:8000/AI/‘‘.

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