piwik no script img

Die Sozialdemokratie wird immer kopfloser

■ Der SPD kommt binnen zwei Wochen der zweite Wirtschaftssprecher abhanden

Berlin (taz) – Nach Gerhard Schröders erzwungenem Abgang als wirtschaftspolitischer Kopf der SPD sah Rudolf Scharping an Ersatz keinen Mangel. „Glücklicherweise“, so freute sich der Parteichef noch Anfang letzter Woche, „hat die SPD viele gute Köpfe in der Bundestagsfraktion.“ Die Freude war kurz, seit gestern ist die Auswahl um einen Kopf geschrumpft. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Uwe Jens, erklärte den Rücktritt von seinem Amt und den Rückzug aus dem Fraktionsvorstand.

Den „lieben Rudolf Scharping“ ließ er per Brief wissen, daß „der grundsätzliche Streit zwischen Gerhard Schröder und Dir“ ihm „erhebliches Unbehagen“ bereitet habe. Wer von beiden glaube, keine Fehler gemacht zu haben, „leide an Selbstüberschätzung“. Warum, fragt Jens, könne man sich nicht darauf einigen, „daß Ende 1997 oder Anfang 1998 eine Befragung aller Parteimitglieder über den besten Kanzlerkandidaten unserer Partei erfolgt“?

Scharping ließ sich gestern nicht zu einer Antwort bewegen. Der SPD-Chef, so erklärte ein Fraktionssprecher lediglich, habe den Rücktritt „ohne Bedauern, ohne Freude und ohne Äußerung zur Kenntnis genommen“. Allerdings dürfte sich Scharping darüber geärgert haben, daß Jens ausgerechnet mit Gerhard Schröder, „mit dem ich auch nicht immer übereinstimme“, die Chance sah, seine „wirtschaftspolitische Grundeinstellung durchzusetzen“. Das, so resümierte Jens, „scheint nun nicht mehr möglich und ist ein großer politischer Fehler, weil leicht Traditionalisten in der Partei wieder die Oberhand gewinnen“. Jens hatte bereits im letzten Dezember, bei seiner Wahl zum wirtschaftspolitischen Sprecher, den Unmut Scharpings erregt. Dieser hatte nämlich den Abgeordneten Mosdorf für den Posten favorisiert. Jens' nordrhein-westfälische Hausmacht verhinderte, daß das Kalkül aufging. In seiner Fraktionsarbeit zeigte Jens ein Profil, das jenem Schröders in nichts nachstand. Noch am Donnerstag ärgerte er seinen Fraktionsvorsitzenden, als er in der Haushaltsdebatte flexiblere Arbeitszeiten und eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer forderte. „Das kostete Schröder den Kopf“, unkte daraufhin der CSU-Abgeordnete Hinsken. Bevor sein Kopf rollen konnte, hat Jens ihn nun eingezogen. Dieter Rulff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen