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■ Der statistische Warenkorb als amtliche In-/Out-ListeWeg mit Anthrazit-Nuß 5/6!

Alle fünf Jahre ist es soweit: Tausende von höchst repräsentativen Haushalten werden auf der Grundlage von 750 höchst repräsentativen Dingen des täglichen Lebens vom Statistischen Bundesamt darüber befragt, was davon sie wann zu welchem Preis gekauft haben. In erster Linie dient das dazu, die Preissteigerung zu ermitteln. Reine Statistik also.

Gleichzeitig blinzeln aus diesem Warenkorb aber immer auch wir selbst heraus, wird er zum Spiegel veränderter Ansprüche und Gewohnheiten, Lebensstile und Konjunkturen. Von Zeit zu Zeit werden nämlich die 750 der Erfassung zugrundegelegten Waren ausgemistet und auf ihre Relevanz fürs deutsche Konsumleben überprüft. Schließlich macht es keinen Sinn, im Jahre 1995 die Preissteigerung von Petticoats und Schlaghosen zu ermitteln.

Aus diesem Grunde vermittelt die aktuelle „Überarbeitung des Warenkorbs“ Einblicke in tiefgreifende Veränderungen. Die Rubrik „Ausgetauschte Positionen“ versammelt beispielsweise Gegenstände, die 1985 noch hip waren. Ermittelt wird jetzt nicht mehr die Preisentwicklung für Joghurt ohne, sondern mit Fruchtzusatz. Helles Mischbrot wurde durch solches mit Körnern ersetzt, der Damen-Pelzmantel durch den Damen-Wollmantel, das Tanken mit Bedienung durch gleiches als SB-Akt und – sehr subtil! – tiefgekühltes Fischfilet durch tiefgekühlten Seelachs. In den vergangenen Jahren haben sich Hedonismus und Öko-Bewußtsein scheinbar erheblich angenähert. Vorsichtig begrüßenswert: Die Schrankwand weicht der Vitrine mit Glastür.

Als quasi amtliche Out-Liste sind die aus dem Warenkorb von 1985 „gestrichenen Positionen“ zu lesen. Hier steht Zechenbrechkoks neben UVA-Oberkörperbräunern. Aber die flächendeckende Zentralheizisierung ist eben fast abgeschlossen, und an jeder Ecke gibt es ein Sonnenstudio. Megaout sind Chrompflegemittel und Babystrickgarn, was man als Hinweis auf eine revolutionäre Veränderung der deutschen Samstagsnachmittagsbeschäftigung deuten kann. Der Rausschmiß von „Anthrazit-Nuß 5/6“ wird nur jene kränken, die wissen, was das ist.

Natürlich gibt es aber auch „neue Positionen“. Der technischen Entwicklung verdankt sich einsichtig die Aufnahme von Mikrowelle samt adäquatem Geschirr und Disketten. In sind jetzt die Preise für Kiwi, alkoholfreies Flaschenbier und Salatteller – Hedonismus und Gesundheitswahn sei Dank. Barbara Häusler

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