Die Straße nach Sarajevo ist wieder frei

■ Auch die Hilfsflüge in die bosnische Hauptstadt sind wieder aufgenommen worden. Die bosnischen Serben müssen nicht alle schweren Waffen abziehen. Kroatische Truppen setzten ihren Vormarsch fort.

Sarajevo/Zagreb (dpa/AP/afp/ rtr/taz) – Nur wenige Stunden nach dem Einlenken der bosnischen Serben ist gestern die für die Versorgung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo wichtige Straße nach Kiseljak geöffnet worden. Französische Blauhelmsoldaten seien bereits über die Straße durch serbisch kontrolliertes Gebiet nach Kiseljak gefahren, sagte ein UNO- Sprecher. Sie wurden mit einem Hilfskonvoi zurückerwartet.

Auch das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) hat seine Hilfsflüge nach Sarajevo aufgenommen. Die erste Maschine mit dem französischen Verteidigungsminister Millon an Bord landete gestern nachmittag in Sarajevo. Die Luftbrücke war seit dem 8. April unterbrochen.

Der Abzug der schweren Waffen der bosnischen Serben aus der 20-Kilometer-Zone um Sarajevo sollte ebenfalls schon gestern beginnen. Nach Angaben von UNO- Vertretern in Sarajevo wurden in der Nacht zum Freitag mit der serbischen Seite die Details für den Rückzug abgestimmt. Danach dürfen die Serben Granatwerfer unter einem Kaliber von 82 Millimetern, Geschütze unter 100 Millimeter sowie alle Flugabwehrkanonen in der Sperrzone belassen. Auch die bosnische Regierung soll sich inzwischen bereit erklärt haben, ihre schweren Waffen während des Abzugs der Serben unter die Aufsicht der UNO zu stellen.

Insgesamt haben die bosnischen Serben sechs Tage Zeit, um ihre schweren Waffen um Sarajevo abzuziehen. Diese Frist wird nach UNO-Angaben in zwei Abschnitte zu je drei Tagen unterteilt. Der Fortgang des Abzugs werde von der Nato und der UNO kontrolliert. Sollte der Fortschritt nicht den in Belgrad unterschriebenen und ausgehandelten Bedingungen entsprechen, werde die Bombardierung unverzüglich wiederaufgenommen, sagt der UN-Sonderbauftragte für Ex-Jugoslawien Yasushi Akashi gestern in Zagreb.

Die Vereinbarung über den Rückzug der Serben und das Ende der Belagerung von Sarajevo hatte der US-Bosnienvermittler Richard Holbrooke am Donnerstag vermittelt. Die Nato hatte daraufhin die Luftangriffe auf Stellungen der bosnischen Serben vorerst für drei Tage ausgesetzt. Holbrooke, der gestern noch einmal mit dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović in Mostar zusammengetroffen war, wurde am Abend in Genf zu einer Sitzung der Bosnien-Kontaktgruppe erwartet. Wegen der Verhandlungsfortschritte war das Treffen um einen Tag verschoben worden.

Holbrooke zeigte sich vor seiner Reise von Split nach Genf skeptisch. Nach Angaben aus Regierungskreisen in Sarajevo hat er Izetbegović nicht die Zustimmung abringen können, anstelle abziehender serbischer Truppen russische UNO-Blauhelme zu stationieren. Das aber war eine der serbischen Bedingungen für den Abzug.

Nach Angaben von US-Vizeaußenministers Strobe Talbott gibt es keine unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Regierungen in Moskau und Washington über die Bewertung der erzielten Vereinbarung. Man sei sich auch einig darüber, was passieren werde, wenn die schweren Waffen nicht abgezogen würden. Rußlands Präsident Boris Jelzin hatte am Donnerstag trotz seiner bisherigen Kritik an der westlichen Bosnien-Politik sein Veto gegen einen Beschluß der Staatsduma eingelegt, die Sanktionen gegen Serbien einseitig aufzuheben und ein Handelsembargo gegen Kroatien zu verhängen.

In der Nato sind unterdessen Meinungsverschiedenheiten über die Mitwirkung der Organisation an einer künftigen Friedensregelung aufgetaucht. Unklar ist vor allem die Frage, ob die UNO oder die Nato eine Friedensregelung militärisch absichern sollen. Die Nato will binnen sechs Monaten nach einem Friedensabkommen die UNO-Soldaten durch 50.000 eigene Truppen ersetzen. Etwa die Hälfte sollen von den USA gestellt werden.

Trotz der Warnungen von Nato und UNO vor einem weiteren Vormarsch haben die bosnischen Regierungstruppen und die kroatischen Verbände in Bosnien ihre Offensive fortgesetzt. Nach Angaben des bosnischen Rundfunks haben die Truppen gestern morgen die Stadt Bosanski Petrovac, etwa 50 Kilometer südöstlich von Bihać, eingenommen. Die bosnischen Regierungstruppen hätten sich anschließend zwischen Bosanski Petrovac und Drvar mit der regulären kroatischen Armee vereinigt.

Tausende serbischer Flüchtlinge mußten die Nacht auf den verstopften Straßen verbringen. Der Elendstreck bewegte sich nur langsam in Richtung Banja Luka weiter.

Auch zwei Monate nach der serbischen Eroberung von Srebrenica werden nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) noch 8.000 Muslime vermißt. 3.000 Männer seien von serbischen Truppen verschleppt; 5.000 weitere Menschen seien „einfach verschwunden“, sagte eine IKRK-Mitarbeiterin in Sarajevo. Es sei zu hoffen, daß sie fliehen konnten und über Vermißten- und Vertriebenendaten wiedergefunden werden könnten. gb