: Mehr Wind aus dem Ausland
Windbranche sieht Chancen im Export. Kritik führte nicht zu befürchteten Auftragseinbußen. Weltgrößte Wind-Messe in Husum ■ Aus Husum Ralf Köpke
„Die Sache ist vom Tisch, das haben wir überstanden.“ Thies Reimers, Vertriebsleiter des Windkraftanlagenherstellers Vestas GmbH, blickt zufrieden drein. Die Sache: Das ist der von der Stromwirtschaft angezettelte Boykott des Stromeinspeisungsgesetzes. Bekanntlich hatten sich einige Versorger in einer konzertierten Aktion geweigert, die aus dem Gesetz resultierenden Einspeisevergütungen für Strom aus Wind- und Wasserkraft zu zahlen. Da auch Banken mit der Warnung vor weiteren Krediten an potentielle Windkraftbetreiber gezielt verunsichert wurden, befürchteten die erfolgsverwöhnten Windmühlenhersteller um ihre Umsätze (bislang Zuwächse von jährlich 50 Prozent und mehr).
Nach der überstandenen Auseinandersetzung präsentierten sich die meisten Aussteller auf der „Husum Wind 95“, der weltweit größten Fachmesse im Windenergiebereich, optimistisch. Immerhin hatte Marktführer Enercon (600 Beschäftigte) aus dem ostfriesischen Aurich im Frühjahr mit einem Umsatzminus von 50 Prozent gerechnet, räumt Geschäftsführer Alois Wobben ein: „Die Geschichte hätte für uns böse ausgehen können, wenn sich nicht alle Parteien im Bundestag geschlossen hinter dieses wichtige Gesetz gestellt hätten.“
Mittelfristig wird die deutsche Windbranche (Umsatz 1994: mehr als eine Milliarde Mark) gelassener auf mögliche „Ökowatt“-Pressionen der Stromwirtschaft reagieren können. Die meisten Anlagenbauer bereiten sich auf das Exportgeschäft vor. Dazu Stephan Haack, Niederlassungsleiter Schleswig- Holstein der Firma Tacke Windtechnik: „Wer sich darauf nicht in den nächsten drei Jahren einstellt, wird es schwer haben, im Geschäft zu bleiben.“
Gerade Schleswig-Holstein ist ein Beispiel dafür, daß den Firmen langsam die Flächen und damit die heimischen Absatzmärkte verlorengehen. Windanlagen mit einer Gesamtkapazität von 1.200 Megawatt (MW) will die Kieler Landesregierung bis zum Jahre 2010 genehmigen (heute etwa 340 MW). Doch allein im Bereich des Regionalversorgers Schleswag AG gibt es so viele Bauanfragen, die es zusammen auf eine Kapazität von 2.000 MW bringen würden. Claus Möller, Minister für Finanzen und Energie in Schleswig-Holstein, will an der Planungszahl festhalten: „Bei einem Mehr an Anlagen befürchte ich, daß die Akzeptanz der Windenergie bei der Bevölkerung verloren eht.“
Daher drängt sich das Exportgeschäft fast auf. Enercon-Geschäftsführer Wobben, der langfristig für sein Unternehmen mit einer Exportquote von 80 bis 90 Prozent rechnet, warnt aber vor auch vor Gefahren: „Wir hätten jüngst Windgeneratoren für 90 Millionen Mark nach Marokko liefern können, doch die Finanzierung des Auftrages war nicht gesichert.“
Ihm schwebt für sein nächstes Auslandsabenteuer eine gemeinsame Finanzierung von Weltbank, der Europäischen Investitionsbank sowie einem deutschen Geldhaus vor: „Auch die Bundesregierung sollte hier mit Kreditprogrammen einspringen, denn es geht um den Gewinn eines Zukunftsmarktes.“
Eine andere Form für den Einstieg in den indischen Windenergiemarkt hat jüngst die Rendsburger Firma Gesellschaft für Energietechnik mbH (GET) gewählt. Komponenten, die ein mit einem indischen Hersteller gegründetes Joint-Venture produziert, werden etwa zur Hälfte mit dem 50 Millionen Mark verrechnet. GET-Geschäftsführer Per Lind: „Mit diesem Gemeinschaftsunternehmen wollen wir vor allem auf den Wachstumsmarkt in Südostasien präsent sein.“ Daß das indisch-deutsche Unternehmen eines Tages auch preiswert hergestellte indische Windenergieanlagen auf dem europäischen Markt anbieten wird, wollte Lind nicht ausschließen.
Bundesdeutsche Windrotoren drehen sich auch schon in China. Die ersten Anlagen hat die „AN Maschinenbau und Umweltschutzanlagen GmbH“ aufgestellt. Zwei weitere Aufträge aus dem „Reich der Mitte“ hat das Bremer Unternehmen mittlerweile sicher. Für Geschäftsführer Erich Grunwaldt und andere Hersteller zeichnet sich ab, daß sich die Bundesrepublik zu einem „Testfeld“ entwickeln wird: „Wir optimieren hier die Maschinen, die dann in den Export gehen sollen.“ Nicht mehr aufzuhalten ist die Entwicklung von noch leistungsstärkeren Windgeneratoren. Während gerade einmal die ersten 1-MW-Anlagen laufen, entstehen auf den Computern der Entwicklungsingenieure die 1,5-MW-Rotoren. Für 1997 planen einige Hersteller die Probeläufe.
Immerhin sichern diese High- Tech-Produkte inzwischen 6.000 Arbeitsplätze in der Branche und ein Vielfaches in der Zulieferindustrie. Das hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund erkannt. So forderte Peter Dunkel vom DGB- Landesbezirk Nordmark in Husum ein Förderprogramm für die regenerativen Energien in Höhe von zwei bis vier Milliarden Mark für die nächsten fünf bis sieben Jahre: „Das sind für mich wahre Zukunftsarbeitsplätze.“
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