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Die bittere Erfahrung bei Behördengängen

■ Einer von vielen: Der schwerbehinderte siebenjährige Sergej K. und seine Familie haben mit den Folgen der Pflegeversicherung zu kämpfen Von Patricia Faller

Sergej K. strahlt, als sich das kleine Mädchen an ihn kuschelt. Er muß zuschauen, während die anderen Kinder der „Kindervilla“ in Eimsbüttel Figuren aus Knetmasse formen. Damit er spürt, wie sich so etwas anfühlt, drückt ihm sein Zivi ein Stück der weichen Masse in die Hand.

Seit Sergej als drei Monate alter Säugling beinahe den sogenannten „plötzlichen Kindstod“ erlitten hatte, ist er schwerbehindert und braucht intensive Pflege. Er muß herumgetragen, gefüttert und gewickelt werden. Die Erzieherinnen des integrativen Kindergartens können das nicht leisten. Nur in Begleitung eines Zivis kann der siebenjährige Junge mit den nicht behinderten Kindern zusammensein. Doch dieser wurde ihm jetzt gestrichen.

„Dabei hat Sergej enorme Fortschritte gemacht, seit er bei uns ist“, sagt die Erzieherin Renate Elkholy, die diese Entwicklung jetzt bedroht sieht. Er sei kontaktfreudiger geworden, was sich darin äußert, daß er öfter lächelt oder versucht den Kopf zu drehen, wenn sich jemand nähert. Denn sprechen kann er nicht.

Weil auch die Eltern der Ansicht sind, daß die „Kindervilla“ ihrem Sohn gut tut, finanzieren sie den Zivi derzeit aus eigener Tasche, obwohl sie sich das eigentlich gar nicht leisten können.

Von einem Tag auf den anderen hatte der ambulante Dienst „Hilfe im Haus“ angekündigt, künftig kei- ne Zivis mehr zu schicken. Der Grund: Als die Pflegeversicherung im April in Kraft trat, hatte das Sozialamt seine Zahlungen für einen Zivi mit Verweis auf die Pflegekasse eingestellt. Die Betreuung für Sergej wurde zunächst aufrechterhalten. „Wir sind ein kleiner Verein mit begrenzten finanziellen Ressourcen, wir können uns das eigentlich nicht leisten“, erklärte der Dienststellenleiter von „Hilfe im Haus“, Manfred Niemann-Hollstein.

Statt des Zivis schickte er der Familie K. schließlich eine Rechnung über 12.000 Mark ins Haus. Die Kunden müssen die Kosten für den Service selbst tragen, wenn kein anderer dafür zahlt. So steht es in der Pflegevereinbarung zwischen der Familie und „Hilfe im Haus“.

Statt eines Zivis bekam die Familie K. eine Rechnung über 12.000 Mark ins Haus

„Ich habe diesen Vertrag arglos unterschrieben“, räumt Sergejs Mutter Stefanie K. ein, weil sie davon ausging, das Sozialamt werde auch weiterhin zahlen. Seit vier Jahren erhielt die Familie 1200 Mark Pflegegeld, davon rund 800 Mark vom Sozialamt, den Rest zahlte die Krankenkasse. Zusätzlich finanzierte das Sozialamt einen Pfleger für 4000 Mark. Sechs Stunden am Tag sollte ein Zivi die Familie K. entlasten. Er begleitete den Jungen dreimal die Woche zur Bewegungs- oder Musiktherapie oder ging mit ihm spazieren.

Auch nach der Einführung der Pflegeversicherung gab es für die Gutachterin des medizinischen Dienstes der Pflegekasse keinen Zweifel: Sergej ist schwerstpflegebedürftig und in die höchste Stufe der Pflegeversicherung einzuordnen.

Auch die Pflegekasse sagte bald darauf ihre Zahlungen zu. Die Familie K. konnte wählen, ob sie ein Pflegegeld von 1300 Mark pro Monat beziehen will oder ob sie einen ambulanten Pflegedienst beauftragt und die Pflegeversicherung dafür 2800 Mark an „Sachleistungen“ zahlt. Möglich war auch eine Kombination aus beidem, wobei dann nur ein geringer Teil des Pflegegeldes ausgezahlt wird.

Doch damit stand die Familie K. keineswegs besser da. Im Gegenteil: Ihr ohnehin knapp bemessenes Budget – die vierköpfige Familie lebt von 3500 Mark BaFöG, Sozialhilfe, Erziehungsgeld und Pflegegeld im Monat – wurde noch enger. Und dann waren da noch die 12.000 Mark Schulden für den Zivi.

Auf ihren Gängen von einer Behörde zur anderen machte Stefanie K. bittere Erfahrungen: „Keiner fühlte sich zuständig.“ Das Sozialamt verwies sie an die Pflegekasse, die Pflegekasse ans Sozialamt.

„Dies ist kein Einzelfall“, erklärt Martin Eckert, Geschäftsführer des Hamburger Spastikervereins, „für viele Familien mit behinderten Kindern ist die sichere Finanzierung der Familienentlastung mit der Pflegeversicherung zusammengebrochen“.

Ständig werden die Behindertenverbände, deren Beratungsstellen bereits überlastet sind, mit neuen Schicksalen konfrontiert. Und jeder Fall müsse wieder anders angegangen werden, pauschale Ratschläge gebe es nicht. Eckert empfiehlt den Betroffenen eindringlich, sich zu Selbsthilfegruppen zusammenzuschließen und gegebenenfalls ihre Rechte vor dem Sozialgericht einzuklagen.

Auch Stefanie K. spielt mit diesem Gedanken, falls sich keine andere Lösung findet. Doch über den langen und beschwerlichen Weg durch die Instanzen macht sie sich keine Illusionen.

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