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Die verbarrikadierten Abfallkörbe von Dublin Von Ralf Sotscheck

Es war eine Schnapsidee, Dublin zur Teilnahme am „Macht-die- Welt-sauber-Wochenende“ einzuladen. Insgesamt haben weltweit tausend Städte mitgemacht und in den vergangenen drei Tagen versucht, die Straßen vom Müll zu befreien. Dublins Stadtoberen kam dabei der geniale Einfall, sämtliche Abfallkörbe in der Innenstadt zu vernageln. Aufkleber wiesen darauf hin, daß man den Müll an diesem Tag bitte mit nach Hause nehmen solle. Das ging schief: Denn selbst wenn die Abfallkörbe nicht zugenagelt sind, werden sie nur in Ausnahmefällen benutzt. Statt dessen läßt man Bonbontüten und Coladosen fallen, wenn sie gerade leer sind – und nur in Ausnahmefällen tritt dieser Augenblick genau über einem Abfallkorb ein.

So merkten viele Leute gar nicht, daß die Körbe dichtgemacht hatten. „Echt wahr“, meinte ein 15jähriger erstaunt, als er von einem städtischen Angestellten auf die Aktion hingewiesen wurde. Folgsam hob er seine Pappschale mit den klebrigen Überresten eines Hackfleischbrötchens vom Gehweg wieder auf und deponierte sie – im Irrglauben, dem Beamten damit eine Freude zu machen – auf dem verbarrikadierten Abfallkorb. Sein Kumpan hatte von der Existenz der Körbe in seinem bisherigen Leben überhaupt noch nichts mitbekommen, hielt sie nach der ersten Verblüffung aber für eine ziemlich überflüssige Erfindung.

Weil die Stadtverwaltung ihre Pappenheimer kannte, hatte sie sich ein Begleitprogramm ausgedacht, um den Leuten die Sache zu verklickern. So hatte man die Theatergruppe Macnas angeheuert, die mit subtilsten Methoden erzieherische Arbeit leisten sollte. Erste Lektion: Ein schwarzgekleideter Schauspieler warf mit Kartoffelchipstüten und leeren Getränkedosen um sich, während ein weißgekleideter Schauspieler das Zeug mit einem riesigen Staubsauger im Handumdrehen wiederaufsaugte. Das verstand sogar der jugendliche Hackfleischbrötchenesser: „Goodies und Baddies, haha!“

Zweite Lektion: Die Schauspieler verteilten an die PassantInnen Kugelschreiber mit dem Aufdruck: „Ich mag Dublin sauber.“ Das hätte beinahe alles ruiniert: Ein kleines Mädchen, das irrtümlich dem schwarzgekleideten Schauspieler nacheiferte, warf einen der Kugelschreiber dem Großstaubsauger zum Fraß vor, worauf dieser noch zweimal röchelte und dann verstummte. Das Schreibgerät war in den Motor geraten. Nach zehn Minuten konnte der Schaden zum Glück behoben werden, und es begann die dritte Lektion: Hinter dem Macnas-Theater mit seinem Straßenstaubsauger liefen Hunderte von Stadtangestellten mit Drahtbürsten, die sie wie die Fahne eines Fußballklubs durch die Luft schwenkten. Eine Gruppe von Schauspielerinnen, die sich als Putzfrauen verkleidet hatten, fielen über die PassantInnen her und wienerten deren Schuhe und Regenschirme.

Selbst der grauenhafte Anna- Livia-Brunnen zu Ehren des Dubliner Dichters James Joyce erschien in neuem Glanz. Normalerweise schwimmen in dem Wasserbecken zu Füßen der steinernen Anna Livia zahlreiche angebissene Fische – frittierte Exemplare, versteht sich – aus einem benachbarten Schnellimbiß. Schade, daß Joyce das nicht erleben durfte, er hätte seine helle Freude an der sauberen Aktion gehabt.

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