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„Wir stehen im Sudan wieder am Nullpunkt“

■ Sudans Opposition schmiedet eifrig Pläne für die Zeit nach dem Sieg über das Militärregime / Ein neues Abkommen soll die Opposition einen, aber die Konflikte zwischen Süden und Norden überlagern alles

Berlin (taz) – Nichts ist für eine bewaffnete Opposition so schön wie das Gefühl, kurz vor dem Sieg zu stehen. „Zu allen praktischen Zwecken ist das Regime tot“, höhnte die „Sudanesische Volksbefreiungsarmee“ (SPLA), die Rebellenbewegung im Süden des Sudans, in einem ihrer jüngsten Rundbriefe über das islamistisch gestützte Militärregime ihres Landes. „Nur die Leiche des Regimes sitzt noch auf dem Thron der Macht in Khartum wie eine Mumie... Sie muß beerdigt werden.“ Der Optimismus ist ansteckend, das zeigte ein Treffen sudanesischer Oppositioneller im Berliner Haus der Kulturen der Welt am Samstag. Es bestand allgemeiner Konsens, daß das 1989 per Militärputsch an die Macht geratene „islamofaschistische Regime“ von General Omar al-Baschir sehr bald stürzen wird. Alle sudanesischen Redner auf der von Menschenrechtsgruppen organisierten „Tagung zur gegenwärtigen Lage im Sudan“ bezeichneten die tagelangen Demonstrationen in der Hauptstadt Khartum Anfang letzter Woche hoffnungsfroh als „Intifada“ – eine Bezeichnung, die bisher den erfolgreichen Volkserhebungen von 1964 und 1985 vorbehalten war.

Von freien Wahlen ist in der Einigung nicht die Rede

Grund für die Zuversicht ist vor allem die kürzlich erreichte Einheit aller regimefeindlichen Kräfte im Sudan, von der konservativ-islamischen „Umma“-Partei über die Kommunisten bis zur SPLA. Zusammengeschlossen in der „National-Demokratischen Allianz“ (NDA), erarbeiteten sie Ende Juni in Eritreas Hauptstadt Asmara ein Abkommen, dessen Details jetzt in Deutschland vorgestellt wurden.

Demnach beginnt nach dem Sturz des Militärregimes eine vierjährige Übergangsperiode, an deren Ende ein international überwachtes Referendum über den zukünftigen Status des Südsudans steht. In der Zwischenzeit soll ein neues föderales Regierungssystem erarbeitet werden. „Der Sudan soll ein dezentraler Staat sein, in dem die einzelnen Teile des Landes größtmögliche Kompetenzen haben“, erklärte NDA-Sprecher Farouk Abu Issa. Ausdrücklich legt das Abkommen das Recht aller Völker des Sudans auf Selbstbestimmung fest. Das ist ein Fortschritt in einem Land, in dem der Krieg gegen die nach Unabhängigkeit strebenden Südsudanesen in 40 Jahren 1,2 Millionen Tote gefordert hat. Seit der Unabhängigkeit 1956 regieren die arabisch-islamischen Politiker des Nordens, und keine Regierung hat einen dauerhaften Frieden mit dem schwarzafrikanischen Süden herstellen können. Daß in der NDA Vertreter von Süd und Nord gemeinsam agieren, gilt als historisch.

Von freien Wahlen ist im Asmara-Abkommen nicht die Rede, was die Vermutung weckt, daß die NDA sich an ihren Vorbildern in den Nachbarländern Äthiopien, Eritrea und Uganda orientiert: Dort regieren überall ehemalige Guerillabewegungen, die dem föderalstaatlichen Aufbau ihrer Länder viel mehr Aufmerksamkeit widmen als der Frage des Parteienpluralismus und freier Wahlen. „Die großen Parteien“, so Hamid Fadlalla von der Berliner Organisation „Dialog Orient-Okzident“, „haben im Sudan nichts getan, um den Krieg und die Massaker zu beenden“. Die Hauptakteure beim Sturz des Regimes würden „die zivilen Institutionen, vor allem die Gewerkschaften“, sein.

SPLA-Verfassungsexperte Peter Nyot Kok pries die Asmara- Vereinbarung als eine Art nachgeholten Gründungsakt: „Wir stehen im Sudan wieder am Nullpunkt“, sagte er. Das Asmara-Abkommen biete mit der Möglichkeit der Selbstbestimmung für den Süden erstmals die Gelegenheit, einen „nationalen Konsens“ zu stiften. Doch perfekt ist der Konsens wohl noch nicht. Der aus Ägypten angereiste nordsudanesische NDA- Sprecher Farouk Abu Issa präsentierte das Abkommen als „Konsens über die Notwendigkeit, die Einheit des Sudans zu erhalten“. Für ihn würde der Sturz der Diktatur eine Abspaltung des Südens überflüssig machen: „Wir haben beschlossen, daß der Krieg im Süden zu Ende sein wird, wenn das alte Regime gestürzt ist.“

Will der Norden mitreden, dann muß er was bieten

Recht hat Abu Issa insofern, als im Asmara-Abkommen eine Klausel enthalten ist, wonach alle Teile der NDA bei einem Referendum des Südens dieselbe Position einnehmen sollen. Das dürfte es der SPLA schwermachen, innerhalb der nördlich dominierten NDA zu bleiben, ohne im Süden Boden gegenüber Unabhängigkeitsbefürwortern zu verlieren. Würde das Referendum im Süden sofort stattfinden, warnte Bona Malwal, einer der angesehensten Intellektuellen des Südsudans, würde „die überwiegende Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmen“. Unausgesprochen: Es sei schon ein großes Zugeständnis, damit noch vier Jahre zu warten. Wenn der Norden wolle, daß der Süden nach 40 Jahren Krieg und Unterdrückung weiter von Khartum aus regiert wird, müsse er „dem Süden etwas bieten“. Dann werde die Führung des Südens sich selbständig entscheiden: „Der Norden hat das Recht verwirkt, an dieser Debatte teilzunehmen.“

Diese Konflikte haben bisher noch jeden Versuch eines demokratischen Neuanfangs im Sudan zum Scheitern gebracht. Vielleicht führt das dazu, daß der erhoffte Sieg doch noch ein wenig länger dauert, zumal außer der SPLA die militärischen Kräfte doch noch sehr bescheiden zu sein scheinen. Nach möglicher deutscher Hilfe gefragt, wünschte sich Abu Issa, „in den Besitz einer Rundfunkstation zu gelangen, die 24 Stunden täglich senden kann“ – für eine Organisation, die sich angeblich kurz vor der Machtergreifung wähnt, eine äußerst bescheidene Bitte. Dominic Johnson

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