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Mit heißer Nadel gestrickt

■ Der unvollständige Abzug der schweren Waffen aus Sarajevo gefährdet den amerikanischen Friedensplan.

Genf (taz) – Als Durchbruch auf dem Weg zu einer Friedenslösung in Bosnien wurde die Übereinkunft zum Abzug der schweren Waffen der Karadžić-Serben aus der 20-Kilometer-Sperrzone um Sarajevo in zahlreichen Kommentaren gefeiert. Vor allem von Vertretern der Clinton-Administration, deren Chefunterhändler Richard Holbrooke in Belgrad eine entsprechende Zusage der Serben erreicht hatte – im Gegenzug für eine zunächst bis gestern abend befristete dreitägige Unterbrechung der Nato-Luftangriffe.

Vertreter der UNO äußern sich allerdings sehr viel skeptischer und üben zum Teil offene Kritik an der Vereinbarung. Zu Recht. Denn die Serben müssen lediglich einen bislang auch von Holbrooke nicht näher bezifferten „substantiellen Teil“ ihrer rund 300 schweren Waffen abziehen, die sie bislang innerhalb der 20-Kilometerzone stationiert hatten. Mörser mit weniger als 82-, Artilleriegeschütze mit bis zu 100-Millimeter-Kaliber sowie alle Luftabwehrgeschütze dürfen in der 20-Kilometerzone verbleiben. Diese Regelung fällt deutlich hinter das von UNO und Nato gestellte Ultimatum zurück, mit dem der Abzug ausnahmslos aller schweren Waffen mit einem Kaliber von über 12,7 Millimetern verlangt wurde.

Gerade mit den Waffen, die jetzt in der Ausschlußzone belassen werden dürfen, haben die Karadžić-Serben den Großteil der Anschläge auf die Zivilbevölkerung Sarajevos verübt, durch die seit Beginn der Belagerung im April 1992 mehr als 10.500 Menschen getötet und rund 50.000 zumeist schwer verletzt wurden. Verständlich ist daher, daß Bosniens Präsident Alija Ižetbegović bislang ablehnend auf die von Holbrooke ausgehandelte Vereinbarung reagiert hat. Indirekt unterstützt wird Ižetbegović dabei von dem britischen General Rupert Smith, dem Oberkommandierenden der UN- Truppen. Doch Smiths schriftliche Aufforderung an den bosnischen Serbengeneral Ratko Mladić, mehr Waffen als in Belgrad vereinbart abzuziehen, dürfte folgenlos bleiben.

Entweder hat Holbrooke in Belgrad mit der „heißen Nadel gestrickt“, weil die Clinton-Administration möglichst schnell eine Friedensvereinbarung für Ex-Jugoslawien zustande bringen will. Oder aber er hat einige ihm unwesentlich erscheinende Details übersehen. Beide Erklärungen, die von westeuropäische Diplomaten und von UN-Vertretern angeboten werden, können nicht überzeugen. Holbrooke, der ranghöchste Vermittler, den Washington seit Beginn des Jugoslawienkonflikts vor vier Jahren entsandt hat, ist ein erfahrener, mit allen Wassern gewaschener Diplomat. Sehr viel einleuchtender sind daher die Hinweise, wonach die Anfang August von Washington eingeleitete „Friedensinitiative“ Mitte letzter Woche an einem seidenen Faden hing.

Die russische Regierung verschärfte fast stündlich ihre Rhetorik gegen die Nato-Luftangriffe und drohte immer unverhohlener mit Gegenmaßnahmen. Serbiens Präsident Slobodan Milošević signalisierte, daß er wegen der Luftangriffe zunehmend unter innenpolitischen Druck gerate und drohte, seine bisherige Zustimmung zu einer Friedenslösung zurückzunehmen. Und auch unter den europäischen Nato-Verbündeten Washingtons gab es zunehmende Bedenken gegen eine Fortsetzung der Luftangriffe, die nach über zwei Wochen Dauer die Serben nicht zum Rückzug ihrer schweren Waffen bewegt hatten. Unter diesen Bedingungen mußte Holbrooke sich mit dem von Milošević und Mladić zugestandenen Teilrückzug zufriedengeben.

Das Risiko für den weiteren Vermittlungsprozeß ist nun umso größer. Solange die Karadžić-Serben ein militärisches Druck- und Drohpotential gegen Sarajevo behalten, muß die bosnische Regierung fürchten, daß ihr bei den anstehenden Verhandlungen über die künftige Aufteilung Bosniens zwischen den Serben und der muslimisch-kroatischen Föderation auch noch die Zustimmung zu einer Teilung der Hauptstadt aufgezwungen wird. Solange diese Gefahr besteht, werden die Kommandeure der bosnischen Regierungsarmee noch weniger als ohnehin schon bereit sein, ihre bislang erfolgreichen militärischen Offensiven in Zentral- und Nordwestbosnien einzustellen. Dies wiederum macht das Waffenstillstandsabkommen für ganz Bosnien unwahrscheinlich, das Holbrooke bis spätestens Ende dieser Woche erreicht haben wollte. Bereits mit seiner noch vor wenigen Tagen geäußerten Hoffnung, bis zum 25. September eine Friedensvereinbarung unter Dach und Fach zu bringen, die dann spätestens im Oktober auf einer großen Friedenskonferenz unterzeichnet werden solle, stieß Holbrooke bei vielen Beobachtern auf große Skepsis. Auch wenn die Bevölkerung Sarajevos in den letzten drei Tagen erstmals seit Monaten wieder auf dem Luft- und Landweg versorgt werden kann: Die Hoffnung des US-Unterhändlers auf einen schnellen Abschluß seiner Vermittlungsbemühungen ist mit der Vereinbarung von Belgrad kaum realistischer geworden. Andreas Zumach

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