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Fusion Underground, dunkel

■ Jan Rieck, ein dichtender Funkpilot, schreibt Texte zwische Punk und Heimatdichtung

Speditionskaufmann, Hafenarbeieter, Fußballtrainer – der Hamburger Jan Rieck ist ein Hans Dampf in allen Gassen. Aktuelle Beschäftigung: „dichtender Kurierfahrer“.

Tagsüber macht der 44jährige als Fahrer der „Funkpiloten“ Hamburgs Straßen unsicher. „Nachts schreibe ich“, sagt der Sohn eines Lastwagen-Fahrers und einer Kindergärtnerin trocken. „Meine Texte haben nichts zu tun mit den aufgesetzten Problemen des in der deutschen Literatur führenden liberalen Mittelstandes. Und auch nicht mit der Szene arschkranker Großaktionäre. Darin wühlen seit Jahren die anderen herum.“

Riecks Geschichten spielen sich weitgehend ab in den Zonen Proletariat, Subproletariat und unteres Kleinbürgertum. In diesem Milieu hat sich der gebürtige Wandsbeker zeitlebens bewegt: „Ich schreibe auf, was ich sehe und höre.“

Und dann die Alkoholprobleme. Schon zweimal wurde dem Kurierfahrer der Führerschein entzogen. Nur unter dem Einfluß von Whisky, Wein oder Bier fließt Tinte aus Riecks Feder. Folgerichtig heißt sein erstes Buch Allein unter Flaschen.

Der Hamburger Dom, die U-Bahn oder der Gemüseladen bilden die Plattform für seine boshaften Kurzgeschichten. „Ich brauche mir nichts auszudenken. Der Alltag bietet genügend Stoff für meine Bücher“, sagt Jan Rieck. Literaturgattung: zwischen Punklyrik und Heimatdichtung. „Ich versuche, am offiziellen Literatur-Schrebergarten vorbei zu schreiben. Was die Kritikermafia davon hält, ist mir egal.“

Am liebsten hält der Tausendsassa Lesungen vor Kurierfahrerkollegen, deren Sprecher er ist. Auch in Jugendzentren und in der Provinz gibt er Gastspiele: „Dort sind die Leute wenigstens nicht übersättigt“. Schreiben hat das Unikum übrigens Anfang der Achtziger beim Sexmagazin smart gelernt (damalige Auflage: 180.000 Stück): „Ich habe fast das ganze Blatt allein gemacht. Am spaßigsten war, die Horoskope auszudenken, die Leserbriefe zu schreiben – und zu beantworten.“

Wenn Frank-Zappa-Fan Rieck nicht gerade im Toyota oder an der Schreibmaschine sitzt, quält er sein Schlagzeug. Seit fast 25 Jahren gehört er zur Formation der Hamburger Band Alcatraz. Deren Musik beschreibt Rieck recht eigenwillig: „Fusion Underground, englische und deutsche Texte, dunkel.“

Momentan arbeitet Hamburgs Antwort auf Charles Bukowski an einem Kurierfahrer-Roman. Auszug: „Nach einer galaktischen Ladung Frühlingsbock mit Jägermeister sah ich keine Chance, das Pusten heil zu überstehen. Es gab nur eine Lösung des Problems. Ich gab GAS“!

Volker Stahl

Die Erzählungen von Jan Rieck sind im Hamburger JRPR-Verlag erschienen

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