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Den Grünen wird es schwarz vor Augen

■ Mit Galgenhumor, Zynismus und Liebäugeleien in Richtung CDU reagieren die Bündnisgrünen auf das Desaster bei der SPD. Scharping konzentriert sich jetzt ganz auf politische Sachthemen – Mieten, Arbeitslosigkeit, Renten

Berlin (taz) – Bei den Bündnisgrünen macht sich Galgenhumor breit. Mit sarkastischen und spöttischen Kommentaren begleiten Krista Sager, Jürgen Trittin und Ralf Fücks in Gesprächen mit der taz den rasanten Zerfall der SPD – dem Koalitionspartner in spe, der sie an die Macht bringen sollte.

Der Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin: „Der SPD geht es wie Frau Wieczorek-Zeul in der Südsee – Motorschaden, umtobt von schwarzen Wellen, und keiner traut sich, SOS zu funken.“ Wenn es so weitergeht, sieht Trittin den Bestand der Sozialdemokratie gefährdet. „Die Entwicklung ist auch für uns dramatisch und fatal für die Zukunftsperspektiven der Republik.“ Ähnlich drastisch urteilt seine Kollegin Krista Sager: „Ein Bild des Jammers, das sich uns da bietet.“ Die Pragmatikerin vom Realo-Flügel hat für den gebeutelten Rudolf Scharping einen Tip: Die SPD solle „eine Unternehmensberatung einschalten, um geeignetes Führungspersonal für ihr Präsidium zu finden“. Momentan kann sich die Hamburger Grüne „nur Joschka Fischer als idealen Kanzlerkandidaten vorstellen – allerdings erscheint das nicht ganz realistisch“.

Ralf Fücks, Exsenator einer Ampelkoalition in Bremen, sieht im Absterben der Sozis neue Perspektiven. Schwarz-Grün „mit einer Süssmuth-Geißler-und- Pflüger-CDU – das wäre eine Alternative“. Der Niedergang der SPD ermögliche eine „ohnehin überfällige Konsequenz: sich aus dem exklusiven rot-grünen Bündnis zu lösen“.

Und die SPD? Die wird erneut zur Ader gelassen: Nachdem am Wochenende schon der außenpolitische Sprecher Karsten Voigt und der Verkehrsexperte Christoph Zöpel nicht mehr wollten, mag nun auch die Parlamentarische Geschäftsführerin Katrin Fuchs nicht mehr. Auf dem Parteitag im November kandidiert sie nicht wieder für den Vorstand.

Verständnis für die Funktionsflüchtigen zeigt SPD-Außenpolitiker Freimut Duve. Diese seien vom querulierenden Scharping immer wieder in „unerträglicher Form beschimpft“ worden. Unterstützung für Scharping gab's allerdings auch. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau klagte Mannschaftsgeist ein. Nach dem gestrigen Präsidiumstreffen in Bonn erklärte er, man habe Scharping „gestützt“ und „ermuntert“. Einmütig habe man nach einer „sehr ernsten und sehr guten Aussprache“ festgestellt, die SPD dürfe sich keine neue Personaldebatte aufzwingen lassen. Auch Scharping selber besann sich bei dem Treffen auf Sachthemen: Arbeitslosigkeit, Mieten und Renten: „Das sind die Themen, die für Deutschland wesentlich sind.“ Gerhard Schröder war nicht bei der Sitzung.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Dreßler sucht den sportlichen Vergleich: „Das ist wie im Fußball. Es ist immer der Trainer schuld.“ Der Zustand seiner Partei erinnere ihn an „Fischer-Chöre im Stimmbruch“. Gar nicht so falsch findet das Jürgen Trittin: „Die SPD hat nur noch Unterhaltungswert.“ Allerdings einen, bei dem ihm „das Lachen im Halse steckenbleibt“.

D. Rulff, J. Voges, K. Wolschner Seite 4

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