piwik no script img

Im Guckkasten schwärmt Garri von der großen Fernsehwelt

■ Schneller, schöner, schriller: PCA-Weltmeister Kasparow langweilt New York mit dem fünften Remis

New York (taz) – Der Internet- Schachklub ist neuerdings schon am frühen Nachmittag gut besucht. Schließlich warten hier im Netz die letzten Nachrichten zum Match um die PCA-Weltmeisterschaft zwischen dem Russen Garri Kasparow und seinem Herausforderer Viswanathan Anand (Indien). Während der fünften Partie am Montag tippt Großmeister Roman Dschindschichaschwili seine Kommentare online. „Ist da draußen irgend jemand, der glaubt, daß heute einer der beiden in Gewinngefahr gerät?“ Der Schachprofi aus Boston ahnt das fünfte Remis schon nach der Eröffnung. Tatsächlich: Obwohl Kasparow (mit Schwarz) erneut einen minimalen Vorteil gehabt haben soll, bot er nach 27 Zügen zum fünften Mal Remis an, womit es 2,5:2,5 steht.

In ihrem drei mal acht Meter messenden Glasschaukasten haben die beiden den Kontakt zum Bodenpersonal verloren. Sie reagieren nicht mehr, wenn die Zuschauer klatschen. Ob vor ihrer schalldichten Kabine ein Baby schreit oder die Stellung diskutiert wird – es macht für Kasparow und Anand keinen Unterschied.

Die Kabel unter dem Spieltisch transportieren die Positionen der Figuren und Aufnahmen der Gesichter zum Großmeisterkommentar, der jetzt Multimedia-Show heißt, und zu den anderen Monitoren auf der Aussichtsplattform des World Trade Center. Für eine zuverlässige Schnittstelle zum Internet hat das Budget der Professionel Player's Association (PCA) nicht gereicht. Neben dem Zuschauerraum sitzen zwei Herren, lesen die Züge und Bedenkzeiten ab und bringen sie ins Netz. Im virtuellen Raum ihrer Rhetorik hat die PCA das neue Zeitalter der Schachpräsentation eröffnet. Schneller, schöner, schriller. Wenn nur die langweilige Remisserie nicht wäre. Wo vor zwei Wochen der Glaskasten errichtet wurde, war vorher ein Souvenirladen. Der Champion braucht die Erinnerungen an alte Schachzeiten nicht mehr, in denen Weltmeisterschaften auf Theaterbühnen inszeniert wurden. Auf ein paar Köpfe vor Ort komme es nicht mehr an, Kasparow schwärmt vom weltweiten Publikum und meint das Fernsehen. Am ersten Spieltag drängelten sich Kamerateams und Fotografen dicht an dicht, um Bürgermeister Rudy Giuliani beim ersten Zug aufzunehmen. Die Schiedsrichterin erklärte vergeblich, warum der Zug des Ehrengastes nach dessen Abgang rückgängig gemacht und die Bedenkzeit zurück gestellt wurde. Time und New York Times fanden es spannender, daß Schachamateur Giuliani Anands Zugwunsch zum Entsetzen des Inders mißverstanden habe. Dabei hatte sich Anand nur einen Scherz erlaubt. Obwohl bereits seit dem Tag der zweiten Partie nur noch ein russisches Kamerateam zu sehen ist, spricht Kasparow vom größten Fernseherfolg der Schachgeschichte. Sein alter Traum heißt, Schach in den USA zu etablieren. Vor Sponsorenverträge im großen Stil hat der Schachgott aus Moskau die TV-Ratings gesetzt. Alle Networks brachten am ersten Tag ein paar Bilder. Wem außer den Schachfreaks im Internet fiel schon auf, daß CBS dabei den Beginn der Schnellschach-Weltmeisterschaft meldete? Stefan Löffler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen