■ Zum Tribunal für Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: „Laßt uns weiter die Wahrheit suchen“
taz: Herr Goldstone, 1945 saßen die Alliierten über Nazideutschlands Führung zu Gericht. Fünfzig Jahre später will das Haager Tribunal ebenfalls die politischen Drahtzieher von Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen. Doch möglicherweise ist ohne eine Amnestie für die Serbenführer Karadžić und Mladić in Ex-Jugoslawien kein Frieden möglich. Welchen Sinn hätte Ihre Arbeit dann überhaupt noch?
Richard Goldstone: Eine Amnestie schwebt zwar ständig drohend über unseren Köpfen. Aber: Friedensverhandlungen sind nicht unsere Sache, für eine Amnestie wäre der Sicherheitsrat zuständig. Wir werden unsere Suche nach der Wahrheit in jedem Fall weiterführen. Die Tränen eines Opfers in einem öffentlichen Tribunal können die ganze Welt bewegen. Der Sinn des Tribunals ist, daß die Stimmen der Opfer gehört werden.
Aber könnte es nicht sinnvoll sein, für einen Frieden auf Strafe zu verzichten?
Es geht nicht so sehr um die Strafe wie um den Frieden selber. Meiner Meinung nach wäre es sehr kurzsichtig, eine Amnestie zu erlassen, nur um den Krieg zu stoppen. Für einen dauerhaften Frieden reicht das nicht. Es gab zu viele Opfer, als daß diese Region unter der Führung von Karadžić, Mladić und anderen jemals zur Ruhe kommen könnte. Gerechtigkeit ist eine Vorraussetzung für dauerhaften Frieden, und daran arbeiten wir. Ich hoffe, ich bin nicht naiv, aber ich glaube nicht, daß die Mehrheit der bosnischen Serben gutheißt, was ihre Führer tun.
Würden Sie zurücktreten, wenn es auf Druck Rußlands zu einer Amnestie käme?
Darüber möchte ich nicht spekulieren. Noch mal: Wir machen keine Politik. Allerdings wäre eine Amnestie sehr frustrierend, und ich könnte es verstehen, wenn es Mitarbeiter des Tribunals gäbe, die dann ihre Sachen packten. Übrigens werde ich jeden Versuch seitens der Politik, Druck auf mich oder unsere Mitarbeiter auszuüben, öffentlich anprangern.
Noch vor wenigen Wochen sprachen Sie von der abschreckenden Wirkung eines Straftribunals auf potentielle Kriegsverbrecher. Als die kroatische Armee im August die Krajina zurückeroberte, kam es jedoch wieder zu Racheakten, diesmal an serbischen Gefangenen und Zivilisten. Ist das Abschreckungsprinzip gescheitert?
Nein, das glaube ich nicht. Die kroatische Führung hat beispielsweise die Armee angewiesen, bei ihrem Vorstoß die Zivilbevölkerung zu schützen. Nun wissen wir nicht, was ohne diese Instruktion, hervorgerufen durch das Bewußtsein, daß es eine Menschenrechtssituation gibt, sonst noch passiert wäre. Es ist unmöglich, etwas, das nicht vorhanden ist, zu beweisen, und deshalb würde ich nicht sagen, daß unsere Arbeit keine Wirkung hat. Aber Sie haben recht: Daß immer noch Kriegsverbrechen begangen werden, ist frustierend.
Nach 43 serbischen Fällen ermitteln Sie inzwischen auch gegen Kroaten. Wie ist hier die Unterstützung der bosnischen und kroatischen Behörden?
Ich bin voll zufrieden. Es gab bisher keine Situation, wo ich mich hätte beklagen können.
Werden Sie auch hier die Drahtzieher auf politischer Ebene angehen? Können Sie sich Ermittlungen zum Beispiel gegen Tudjman oder Izetbegović vorstellen?
Wir haben noch nie Namen genannt, bevor wir etwas in der Hand hatten. Aber wir werden allen Hinweisen nachgehen, die wir bekommen, und nicht zögern zu handeln.
Niederländische Blauhelm- Soldaten könnten wichtige Zeugen der vermuteten Massenerschießungen bosnischer Kriegsgefangener bei Srebrenica durch die Serben sein. Doch das niederländische Verteidigungsministerium mauert, um eigene Versäumnisse zu vertuschen.
Zur Zeit sind Vereinbarungen auf dem Weg, und wir werden jede nur mögliche Unterstützung der niederländischen Behörden bekommen.
Werden Sie mit den Soldaten sprechen können?
Wir haben Zugang zu allen Zeugen, auch zu den Soldaten.
Sie sind auch Chefankläger für Ruanda. Wann wird es dort zu Anklagen kommen?
Was Ruanda angeht, hatten wir anfangs große finanzielle Probleme, die aber inzwischen einigermaßen gut behoben sind. In unserem Büro in Kigali mußten wir bisher mit neun Ermittlungen auskommen, aber die Zahl soll in den nächsten Monaten auf 50 Mitarbeiter steigen. Noch vor Jahresende wird es hier die ersten Anklagen geben.
Es gibt Hinweise, daß es französische Waffenlieferungen in das Krisengebiet gegeben hat. Sind Sie hier schon tätig geworden?
Auch hier werden wir jeden Hinweis verfolgen. Wir werden nicht zögern, die Mittäterschaft eines jeden, sei es einer Regierung oder eines Individuums, zu untersuchen, wenn sie bewiesen werden kann. Wenn sie an Rechtsbrüchen in Ruanda beteiligt waren, werden wir das untersuchen, denn wir haben den Auftrag dazu. Unter unserem Statut können wir nämlich nicht nur ruandische Bürger anklagen, sondern jeden in jedem Land der Erde, der 1994 in Ruanda Straftaten begangen hat.
Apropos weltweite Zuständigkeit: Das erste Kriegsverbrechertribunal seit 1945 wird ausgerechnet in Europa eingesetzt. Es gab Vietnam, Kambodscha, Afghanistan ... Warum nicht schon früher?
Sie dürfen nicht vergessen, daß es einmal den Kalten Krieg gegeben hat, in dem jede Großmacht Angst davor hatte, unter die Kriterien für ein Tribunal zu fallen. Nie hätte man sich auf ein wirklich effektives Gericht einigen können. Insofern ist das Haager Tribunal eine Art Meilenstein für ein umfassendes Strafrechtssystem, was Menschenrechtsverletzungen betrifft. Aber natürlich war die Tatsache ausschlaggebend, daß es hier zum ersten Mal mitten in Europa wieder den Horror ethnischer Säuberungen gab.
So ermutigend die Einrichtung eines Gerichtshofes in Europa auch ist. Was die weltweite Lage der Menschenrechte angeht, ist sie nur ein Feigenblatt. Die überwiegende Mehrheit aller Menschen ist vom Zugang zu einem Internationalen Gerichtshof ausgeschlossen. Millionen von Kindersklaven und unterdrückten Frauen bräuchten ein Tribunal ...
Das ist sicher richtig. Aber deswegen ist meine Arbeit doch nicht falsch! Wir brauchen dringend einen ständigen Gerichtshof, der Zugang zu jedem Land auf der Welt hat. Übrigens gab es vor kurzem in Südafrika ein vielversprechendes Treffen, auf dem 53 afrikanische Nationen erstmals zugestimmt haben, einen Afrikanischen Gerichtshof für Menschen- und Völkerrechte einzurichten. Insofern ist das Haager Tribunal sehr wohl mehr als nur ein Alibi.
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