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Nato will Rußlands Abrüstung stoppen

■ Vertrag über die konventionellen Waffen in Europa soll neu verhandelt werden / Trostpflaster für Nato-Osterweiterung?

Brüssel (AFP/taz) – Die Nato will Rußland eine Änderung des Abrüstungsvertrages über die Konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) vorschlagen. Das verlautete gestern aus Diplomatenkreisen der Allianz in Brüssel. Dabei solle es vor allem um eine „geographische Neudefinition“ der sogenannten „Flanken“ gehen, den Gebieten also, wo einst die Frontlinien zwischen den Blöcken verliefen. Nach Angaben aus Brüssel soll jedoch nicht der gesamte Vertrag, sondern nur die Zusatzprotokolle, in denen die Größe der Flankenregionen bestimmt ist, neu verhandelt werden.

Mehr Panzer für den Nordkaukasus?

Was dies konkret für die Zahl der dort stationierten Waffen bedeutet, blieb vorerst freilich unklar. Eine Erhöhung der für die Militärbezirke Sankt Petersburg und Nordkauskasus geltenden KSE- Quote von 4.700 Panzern und Artillerie – allerdings nicht der Gesamtzahl der Panzer – verlangt Rußland seit rund zwei Jahren; besonders zu Beginn des Krieges in Tschetschenien hatte es diese Forderung bekräftigt. Der KSE- Vertrag war im November 1990 von 22 Staaten unterzeichnet worden, seit dem Zerfall der UdSSR gilt er für 30 Staaten. Die Verschrottung von 19.000 Panzern der ehemaligen Sowjetunion sollte ursprünglich bis zum 16. November abgeschlossen sein.

In Brüssel wird nun darüber spekuliert, ob die Nato mit dem Angebot vor allem die russische Kritik an der Osterweiterung und an den Nato-Luftangriffen auf serbische Stellungen in Bosnien dämpfen wolle. Allerdings haben Nato-Vertreter schon früher eingeräumt, daß die KSE-Regelung schließlich nicht mit einem Zerfall der Sowjetunion gerechnet hat. Die zugelassene Panzerquote hätten die sowjetischen Nachfolgestaaten unter sich aufteilen müssen, dabei sei Rußland benachteiligt worden. Nach Schätzungen des Verteidigungsministeriums der USA verfügt die russische Armee in den betroffenen Flankenregionen noch immer über 3.000 Panzer, 5.400 gepanzerte Fahrzeuge und 3.000 Geschütze. Die angestrebte Neuregelung soll Moskau „mehr als im KSE-Vertrag erlaubt, aber weniger als jetzt“ zugestehen. Allerdings wird das Angebot der Nato bereits jetzt scharf von Mitgliedern der Allianz kritisiert. So ließ ein Sprecher des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der USA, Jesse Helms, verlauten, das Angebot sei ein „Riesenfehler“, denn es nähre den „irrationalen russischen Verfolgungswahn, wonach es eine Bedrohung ihrer Sicherheit gebe, die gar nicht existiert“. Eine Reaktion aus Moskau auf den Nato-Vorstoß lag zunächst nicht vor.

Der Vorschlag zur Neudefinition der Grenzen dürfte Rußland bei der nächsten „16+1“-Sitzung der Nato in Brüssel unterbreitet werden. In ihm sitzen die 16 Nato- Botschafter sowie der russische Botschafter in Belgien. Beraten werden soll die Neuregelung dann im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), zur Überprüfung der Einhaltung des KSE-Vertrags ist für den Mai 1996 eine eigene Konferenz geplant.

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