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Champion für 4 Mark brutto

Ein Tag bei der Apfelernte: Für die Polen ein Traumjob, für Deutsche die reine Fronarbeit. Was für die einen ein Spitzenlohn ist, bekommen die anderen vom Arbeitslosengeld abgezogen  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Der deutsche „Champion“ liegt schwer in der Hand. Besonders nach acht Stunden Pflückarbeit. Dann wird die rotgoldene Apfelsorte im Erntebeutel schwer wie Senkblei. Jeden Apfel einzeln vom Zweig abdrehen, behutsam in den Beutel legen, Beutel zur großen Kiste schleppen, ausschütten, wieder mit Äpfeln füllen. Und das für 7 Mark die Stunde, brutto und Akkord. Kein Wunder, daß es nicht geklappt hat mit den deutschen Arbeitslosen. „Mit diesen Löhnen kann man nur polnische Arbeiter motivieren“, sagt Klaus Fuchs vom Obstgut Marquardt bei Potsdam. Was keine Frage des nationalen Charakters ist, sondern des Geldes und was man wo dafür kaufen kann.

Die Sache mit dem Geldwert und der Kaufkraft müßte den Ministern Seehofer und Blüm eigentlich vertraut sein. Dennoch fordern sie immer wieder, Arbeitslose in der Erntehilfe einzusetzen. Dabei zeigt schon ein Tag auf dem Obstgut: es kann nicht funktionieren. Nach einer Stunde Pflückerei hat die ungeübte Berliner Reporterin gerade mal 4 Mark Akkordlohn erschuftet. Brutto.

„Vor vier Jahren haben sie uns mal 48 Arbeitslose zugeteilt“, erzählt Manfred Kleinert, Gesellschafter im Obstgut Marquardt. „Davon sind drei gekommen. Zwei hatten nach einem Tag Kreuzschmerzen. Der dritte hat durchgehalten. Dem haben sie den Lohn dann noch vom Arbeitslosengeld abgezogen.“ Damit nicht genug: am Ende bekam der treue Erntehelfer noch weniger Arbeitslosengeld als zuvor – mit dem Hinweis, der karge Erntelohn drücke ja nun die Bemessungsgrundlage. Deutsche Bürokratie.

Mit deutscher Bürokratie will auch Wladislaw Maiz aus Czenstochau möglichst wenig zu tun haben. Er strahlt, als hätte er mit der Pflückerei auf dem Obstgut seinen Traumjob ergattert. „Die Arbeit ist gut“, meint er. 50 Mark am Tag, 1.000 Mark im Monat. 1.650 Zloty! Ein Spitzenlohn auf dem Welt-Arbeitsmarkt. Das Vierfache von dem, was er und seine Kollegen als Bauhandwerker, Maler und Taxichauffeure in Polen verdienen. Kein Wunder, daß diese Arbeit zu Hause als Geheimtip gehandelt wird.

Drei Monate im Jahr dürfen die Polen in Deutschland ackern. Kleinert stellt schon im Frühjahr beim Arbeitsamt die Anträge für die HerbsthelferInnen. „Jeder muß mit Namen und Arbeitstagen drinstehen.“ Die Formulare gehen nach Frankfurt, in die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung. Wenn Kleinert Glück hat, haben die Vermittler den Passus angekreuzt: „der Termin muß flexibel gehalten werden“. Denn Flexibilität ist wichtig in der Landwirtschaft. „Wenn das Wetter danach ist, können die Leute dann zwei Tage früher oder später kommen“, erläutert Kleinert.

In Neuner-Kolonnen treten die ArbeiterInnen an. Bald ist das Team eingespielt. Den Akkordlohn gibt es nämlich pro 360-Kilo- Kiste, die von allen gleichmäßig gefüllt wird. „Die passen schon auf, daß keiner rumsitzt“, so Fuchs. Und wer da glaubt, Erntearbeit sei der letzte, unqualifizierteste Job, sollte noch ein bißchen dazulernen. „Nicht schütteln!“ brüllt Vorarbeiterin Ute Letzel und lacht die Polen dabei freundlich an. „Das wird Mus, kein Vino, kein Schnaps!“ Die Äpfel für das Mus dürfen keine Druckstellen haben, die schnell faulen. Bei Früchten für Apfelwein ist die Vorarbeiterin großzügiger, die können schon ein bißchen gären. Aber einfach so abreißen ist auch da nicht drin: „Sonst bricht das Fruchtholz mit ab. Dann wächst an dieser Stelle nächstes Jahr nichts mehr!“

Um auf dem international geprägten Obst- und Gemüsemarkt zu überleben, müssen die sieben Gesellschafter und MitarbeiterInnen auf der Plantage ein kleines Wunder an Kalkulation vollbringen. Für die ganze Tonne mit „Industrieware“, also Äpfeln für Mus oder Saft, bekommen die Bauern nur 300 Mark. „50 Mark gehen als Pflücklohn ab, außerdem noch die Kosten für Pflanzenschutzmittel, Schnitt und Transport“, rechnet Fuchs vor. Das Land ist gepachtet. Die polnischen SaisonarbeiterInnen sind in der Heimat sozialversichert, als Arbeitgeberbeitrag überweisen die Anbauer 2 Prozent der Lohnsumme nach Polen. Würden die Landwirte deutsche „Leichtlöhne“ von 11 Mark brutto und die entsprechenden Lohnzusatzkosten zahlen, stürzte die Kalkulation sofort ab ins Nichts. „Dann könnten wir wie viele andere den Laden dichtmachen“, versichert Kleinert.

Auch die Seehofersche Idee, den deutschen Erntehelfern einen täglichen Zuschuß von 25 Mark zu zahlen, ergäbe noch keine stimmige Rechnung für Arbeitgeber und deutsche Hilfskräfte, ist Kleinert überzeugt. Denn erstens wird der karge Erntelohn zumindest zur Hälfte von der Arbeitslosenunterstützung abgezogen. Zweitens schafft die Saisonarbeit keine Qualifikation für künftige Jobs. Und drittens kommt man nur sehr umständlich heraus zu den Landgütern. Nicht jeder Arbeitslose hat bekanntlich ein Auto.

„Wir bieten die Erntehilfe an, aber gezwungen wird niemand“, sagt Vera Stübner, Sprecherin im Arbeitsamt Potsdam. „Es ist eben eine Frage der Motivation“, meint Burkhard Möller, Sozialreferent beim Deutschen Bauernverband. „Und die Motivation kommt durch das Geld.“ Genauer gesagt: durch das, was man wo dafür kaufen kann.

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