: Waschen für DM 12,40
■ Über die Preise der Pflegeversicherung – private Pflege muß besonders billig sein
Die Neuordnung des Pflegebereiches durch die neue Pflegeversicherung wird seit einem halben Jahr praktiziert. „Pflege ist ein Markt geworden, ein klassischer, kapitalistischer Markt“, findet Gabriele Dannemann, die Einsatzleiterin von zehn Nachbarschaftshelferinnen. Sie hält nichts von der Pflegeversicherung: „Das Gesetz ist ein Rückschritt in der Pflege alter Menschen, weil es dem ganzheitlichen Pflegeansatz den Boden entzieht. Es wird eindeutig eine Trennung von Körper und Psyche festgelegt. Nur wer Geld hat, kann sich jemanden für die Seelenpflege leisten; wer keines hat, geht leer aus.“ Wer nicht gerade von der Sozialhilfe leben muß, kann sich statt der Sachleistung eines professionellen Pflegedienstes privat Geld auszahlen lassen, um damit Angehörige oder Bekannte, die die Pflege übernehmen, zu bezahlen. SozialhilfeempfängerInnen allerdings können das nicht – sie müssen immer einen Pflegedienst beauftragen. Die Nachbarschaftshelferinnen, die früher von der Krankenkasse oder dem Sozialamt bezahlt wurden, dürfen nur noch auf private Rechnung pflegen.
Die Sätze für private Pflege eignen sich allerdings nur als Aufwandsentschädigung: Braucht eine Person mindestens 14 Stunden Pflege pro Woche, so zahlt die Pflegeversicherung 750 DM im Monat an Profis oder nur schlappe 400 DM an Angehörige. Ist der Pflegebedarf 28 Stunden und mehr pro Woche, so werden 2800 DM für die Sachleistung bereitgestellt oder 1300 DM im Monat für pflegende Angehörige. Für die wird dann in die Rentenversicherung einbezahlt; andere Sozialversicherungen werden nicht übernommen.
Werden die Sätz für Angehörige in Stundenlohn umgerechnet, so ergibt das höchstens 6,66 DM für diese körperliche und psychische Schwerstarbeit. Wer betrachtet so etwas ernsthaft als Bezahlung? Aber auch die Sachleistung ist problematisch, obwohl hier ein Stundensatz von 38,40 DM übernommen wird. „Das Problem liegt in der Abrechnungsweise“, erklärt Gabriele Dannemann. Denn während die Pflegefirma Zeitlohn abrechnet, wird dem Pflegling gegenüber in Leistungskomplexen gerechnet. Da gibt es zum Beispiel die „kleine Morgentoilette“ zu 12,40 DM. Sie umfaßt Gesichtwaschen, Mund- und Zahnpflege und Kämmen. Männer müssen immer die etwas teurere „große Morgentoilette“ nehmen, denn die beinhaltet auch das Rasieren. Bei einem Blick in die Pflegeverträge wird deutlich, daß es nur um den Körper geht, dessen Funktionen aufrecht erhalten werden sollen. Unter den Leistungskomplexen, die der „Mobilisierung“ dienen, steht ausdrücklich: „Keine Spaziergänge; keine kulturellen Veranstaltungen“. Mobilisiert wird zwischen Bett, Tisch und Toilette. Für hauswirtschaftliche Arbeiten übernimmt die Pflegeversicherung bis zu zwei Stunden pro Woche. Was darüber an Zeit benötigt wird, muß selbst gezahlt werden. Die Einteilung und Abrechnung nach Leistungskomplexen führt zur Einschränkung bei der Wahl der Leistungen, da die gezahlt Summe fest ist. Nach dem Motto: Gestern hatte ich eine „große Abendtoi lette“ mit Ganzwäsche, da mu ich heute kürzer treten.
Vielleicht verzichte ich aufs Rasieren? Das andere Problem dieser Abrechnungsweise liegt auf der Hand: Die Pflegerin, die in einer bestimmten Zeit drei Leistungskomplexe schafft, erwirtschaftet dreimal soviel Geld, wie die, die nur einen schafft. Akkordarbeit in der Pflege oder „Fließbandpflege“ sind die Konsequenz!
Alice Bachmann
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