: Das Fräulein ist ausgestorben
Frau Doktor ist jetzt selber Ärztin. Ist die deutsche Sprache durch zwei Jahrzehnte feministischer Sprachkritik wirklich frauenfreundlicher geworden? ■ Von Nina Karek
Die Sprache ist eine genauso wichtige Institution wie der Staat, die Verwaltung, die Wirtschaft, das Militär, die Justiz, die Schule und die Kirche. Davon gingen feministische Linguistinnen aus, als sie in den siebziger Jahren begannen, auf die patriarchalen Strukturen der Sprache hinzuweisen. Sie begannen mit einer Analyse und Kritik der herrschenden Sprache. Das wichtigste Ergebnis: die Sprache macht Frauen gezielt unsichtbar. Sie sind einfach immer mitgemeint und verschwinden hinter den Männern. Das stritten die Männer natürlich heftigst ab. Um ihnen ins Bewußtsein zu reden, erfanden Feministinnen viele Tests: Woran denken Sie bei dem Wort Traktorfahrer? An eine Frau im Blaumann? Ist die Formulierung „Liebe Professoren und ihre Gatten“ nicht äußerst irritierend?
Die Frauen, die sich da empörten, bekamen schnell Schützenhilfe von Linguistinnen, die die Sprache systematisch, fachlich und gründlich untersuchten und viel dazu beitrugen, den patriarchalen Charakter der Sprache aufzudecken, ins Bewußtsein zu rücken und zu kritisieren. In einem zweiten Schritt begann das Spiel mit der Sprache, wurden neue Worte und Formen gesucht. Die einen hatten vor, die Sprache zu erneuern, die anderen wollten die patriarchale Sprache ganz abschaffen und eine neue kreieren.
Die Änderungen, die da durchgesetzt werden sollten, stießen auf heftige Ablehnung, wirkten lächerlich und verletzend. Die ständige Regelverletzung sollte die Regeln ins Bewußtsein bringen, sollte ständig den Finger auf die Wunden der Sprache legen, sollte aufzeigen, wo Frauen unsichtbar gemacht wurden. Doch die Feministinnen blieben nicht bei der Bewußtseinsänderung stehen. Sie entwarfen ständig neue Vorschläge zur Feminisierung der Sprache, wie das große I. Überhaupt nicht durchsetzen konnte sich die radikalere Variante, nämlich nach zweitausend Jahren der Männersprache, nun erst mal die weiblichen Formen zu den allgemeinen zu erklären.
Auch das Verhalten von Frauen in Gesprächen und in der Sprache sollte bewußt gemacht und geändert werden. Dazu müßten sowohl das individuelle Selbstbewußtsein als auch gesellschaftliche Normen reformiert werden. Zunächst probierten Frauen in eigenen Räumen eine neue Sprache aus. Die selbstbewußte Frau sollte eine neue Sprache benutzen, frei von jeglichem männlichen Sexismus. Parallel dazu arbeiteten Linguistinnen diese neue Sprache fachlich aus.
In manchen Fällen haben sich die positiven Beispiele sogar durchgesetzt. So ist zum Beispiel das Wort Fräulein aus dem Wortschatz verschwunden. Wenn von Mädchen die Rede ist, heißt das Pronom mittlerweile „sie“, nicht mehr „es“. Früher war die Bezeichnung „Frau Doktor“ oder „Frau Professor“ gang und gäbe, wenn Ehefrauen gemeint waren. Auch diese Bezeichnungen sind abgestorben. Frau Doktor ist jetzt eher eine Person, die selbst Ärztin ist, oder einen Doktortitel besitzt.
Unter linksorientierten Männern und Frauen sind mindestens zwei Sprachkorrekturen obligatorisch geworden. Sie benutzen überall dort „frau“ statt „man“, wo die Aussage Frauen betrifft oder von Frauen gemacht werden. Und das große I wird benutzt, wenn sowohl Frauen als auch Männer gemeint sind. Die Wortspiele, Alliterationen, bewußten Verdrehungen der gewohnten Wortbedeutungen wurden erstaunlich schnell in das Normale integriert und haben längst ihre feministische Konnotation verloren.
Obwohl es sich bei diesen Änderungen im Sprachgebrauch um reine Lippenbekenntnisse handelt, haben sie bestimmte Änderungen erst salonfähig gemacht. Außerdem ist dadurch eine neue, mehr auf Frauen orientierte, Wirklichkeit entstanden. Ein neuer Status quo ist im Gange, sich zu etablieren. Für zwei Dekaden der Frauenbewegung ist das gar keine so kleine Leistung, auch wenn die Änderungen nicht immer frauenfreundlich gemeint waren. Die Situation der Frau im deutschen Sprachraum hat sich ein wenig verbessert, seit der Zeit, als Senta Trömmel-Plötz oder Luise Pusch ihre Aufsätze schrieben und sich vollkommen unsichtbar in dieser Sprache und dieser Gesellschaft fühlten. Trotzdem sind viele Frauen damit, was erreicht wurde, unzufrieden und finden, daß die lingustischen und andere Erfolge der Frauenbewegung die Gesellschaft nicht wesentlich beeinflußt haben.
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