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Etwas wie Anfang

■ In seiner Autorengesprächsreihe "Orte" in der literaturWERKstatt fragt der Dichter Uwe Kolbe sich und andere nach dem Heimatgefühl und meint das ganz konkret

Noch drei Abende in diesem Herbst, dann endet in der literaturWERKstatt die auf ein Jahr angelegte Lesungs- und Gesprächsreihe „Orte – oder Kommt mein Schreiben wo her?“. Der Dichter Uwe Kolbe, 38 Jahre alt und aufgewachsen in Berlin, hat konzipiert und moderiert. Nach ein paar Exiljahren in Westdeutschland zurückgekehrt in den Prenzlauer Berg, sitzt Kolbe im Gasthaus am Wasserturm und erzählt: „Mich interessiert nicht der Irgendwo-Ort, sondern mich interessiert wirklich die Herkunft – weil das für mich selber als Schreibender ein Thema ist.“

Kolbe lacht, leicht verlegen, wer wäre das nicht bei so einem Thema. Leichtfertig ist es, anekdotisch Kindheitserinnerungen zum besten zu geben, in denen ein Haus noch ein Haus und ein Knick noch ein Knick zu sein scheinen: sentimentale Reisen in eine falsche Vergangenheit, die kulturelle Differenzen verwischen und von der Präzision der Gedächtnisräume nichts wissen wollen.

Nicht daß Kolbe forsch wäre, eher zögernd und zurückgenommen – die Metaphern der Herkunft aber kommen, wenn auch gebrochen: „Ich meinte schon: Herkunft Richtung Wurzel – wenn sie überhaupt da ist, wenn sie überhaupt benennbar ist. Herkunft, wenn man sie nicht regional faßt – aber meistens ist es ja so: es gibt so etwas wie den Hölderlinschen ,Stern der Geburt‘: wer guckt dich zuerst an? Wichtig war für mich etwas wie Anfang, tatsächlich auch Kindheit.“

Ein Haus in Dresden, Landschaften, Landschaften, Landschaften, eine Schmiede, eine Neubausiedlung, in der ein Kind herumgeistert. Heimat – für Arnold Stadler wurde das „witzige Wort“ Heimatliteratur plötzlich so akut, daß er es selbst auf seinen Gesprächspartner Hilbig anwendete. Das waren die Orte, von denen die Gäste Kolbes, immer zu zweit, in ihrer Lesung berichteten. Keine Städte. Keine Friese und Architrave, zum ersten Mal beim Wort genommen; nicht mal eine Fahlhorstsche Bismarkhalle.

Und auch der Bagger kommt immer erst nachher – Kito Lorenc und Guntram Vesper erzählten von den Prägungen, die ihr Zuhause durch den Braunkohletagebau erfährt. Und die Großmutter von Peter Härtling kam in dem gleichen Haus zur Welt, in dem auch Wolfgang Hegewald geboren wurde. Das mag als Literatur wunderbar funktionieren. Darüber zu sprechen ist ein bißchen albern.

Aber so ist das mit öffentlichen Lesungen; das weiß Kolbe am besten: „Mein Interesse war in keinem Augenblick, einen Überblick über das Thema zu geben – für mich erklärt sich dadurch nichts.“ Nur aus dem Publikum wurde manchmal theoretische Schärfe eingefordert, ein Ausloten der Gratwanderung zwischen den Wurzeln des Schreibens und der Biographie, zwischen den gelesenen Texten und den Dönekens zwischendurch.

Und heute also Jurek Becker; ausnahmsweise allein, er hat es sich ausbedungen. „Du solltest überlegen, zu wem du gehörst“, sagt – in „Bronsteins Kinder“ – der Vater zum Sohn. „Sie fragen, wo ich zu Hause bin“, antwortet Jurek Becker Max Thomas Mehr, „das klingt wie eine ordnungspolitische Frage. Als sei man verpflichtet, sich einer Umgebung mit Haut und Haaren zuzuordnen, als gehöre man zu einem Zuhause wie eine Glühbirne in die Fassung und müsse das auch laut und deutlich erklären.“

Es wäre demnach denkbar, daß sich Becker gegen das Thema sträubt. Vielleicht gibt es ein paar gnadenlose Anekdoten – davon erzählt man sich. Kein Hehl zumindest bei ihm, daß die Herkunft seines Schreibens und Denkens nicht die Provinz, sondern – das Schreiben ist: „Ich lese manchmal Texte von mir und denke: Die sind intelligenter, als ich es bin! Am Schreibtisch oder mit dem Bleistift in der Hand komme ich zu Gedanken, zu denen ich im Gespräch, etwa mit Ihnen, nicht fähig bin. Ich schreibe sozusagen über meine sonstigen Verhältnisse.“ Fritz v. Klinggräff

„Orte – oder Kommt mein Schreiben wo her“. Jurek Becker liest und spricht mit Uwe Kolbe heute, 20 Uhr, literaturWERKstatt, Majakowskiring 46/48, Pankow. 5.10.: Kathrin Röggla u. Yoko Tawada, 30.11.: Michael Hamburger u. Peter Waterhouse.

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