: Alle Serben sind geflohen
In einem serbischen Haus stehen die Kaffeetassen noch auf dem Tisch, die Häuser der Muslime aber sind niedergebrannt ■ Aus Bosanska Krupa Erich Rathfelder
Über dem Tal von Bosanska Krupa thront die mächtige alte Burg. Kurz vor dem Tal tritt der grünlich schimmernde Fluß Una aus einer engen Schlucht in ein breites Becken, an dessen beiden Seiten sich die Stadt erstreckt. Von den Anhöhen im Süden wie auch im Norden muß das kräftige Grün des Waldes einen beeindruckenden Kontrast zu den roten Ziegeldächern der Stadt geboten haben. Heute sind die meisten Dächer der Häuser zerstört. Ganze Stadtteile bestehen nur noch aus Ruinen. Früher lebten hier einmal 30.000 Menschen. Heute ist die Stadt fast menschenleer.
Senada Avdagić kämpft mit den Tränen. Die dreißigjährige Lehrerin, die aus der Stadt stammt und seit drei Jahren in der bosnischen Armee kämpft, kann sich über die Rückeroberung noch nicht so recht freuen. Sie deutet auf den Stadtteil nördlich des Flusses, dort wo sie und 2.000 andere Menschen seit Beginn des Krieges ausgehalten haben. „Manchmal war es die Hölle, wir wurden mit Artillerie beschossen, Scharfschützen waren hier von der Burg aus aktiv. Und als im November 1994 die Tschetniks auch noch zwei Hügel auf unserer Seite des Flusses besetzten, war die Lage verzweifelt.“ Damals wollten die serbischen Militärs die Enklave Bihać teilen. „Wir haben aber standgehalten, viele Freunde sind dabei getötet worden.“
Am 17. September 1995 ist Senada Avdagić mit der bosnischen Armee in Bosanska Krupa eingerückt. Sie kann ihre Genugtuung nicht verbergen. Zuvor war es der 511. Brigade der bosnischen Armee gelungen, die serbischen Truppen auf die südliche Seite des Flusses zurückzudrängen. Das ganze Ausmaß der Zerstörung wird ihr nur allmählich bewußt. Alles, was das Leben in dieser Stadt für sie ausgemacht hat, ist verloren.
Der Schrecken für die Stadt und ihre Bewohner begann am 21. April 1992. Bewaffnete Truppen aus Serbien brachen völlig überraschend in die zu drei Vierteln von Muslimen bewohnte Stadt ein. „Von uns hatte ja niemand mit einem Krieg gerechnet“, sagt die ehemalige Lehrerin. Die „Weißen Adler“ und andere Freischärlertruppen haben damals vorgemacht, was sich später in anderen bosnischen Städten wiederholen sollte. Die nichtserbische Bevölkerung wurde aus der Stadt vertrieben. Tausende flohen über die Brücke in den Norden der Stadt, rund 1.000 Muslime blieben im südlichen Teil zurück. „Rund 700 dieser Menschen haben es in den nächsten Tagen geschafft herüberzukommen. Von dreihundert jedoch fehlt bis heute jede Spur“, so Senada Avdagić.
Nur vereinzelt streifen einige Rückkehrer durch die verlassene Stadt. Neben den Soldaten der bosnischen Armee sind es die ersten Zivilisten, die nach mehr als drei Jahren wieder ihr Haus oder ihre Wohnung ansehen wollen. „Alle von Muslimen bewohnten Häuser wurden 1992 auf dieser Seite der Stadt systematisch zerstört. Zuerst ausgeraubt, dann angezündet, eines nach dem anderen.“
Mehmed P. ist 70 Jahre alt. Von dem Haus seiner Mutter und dem eigenen sind nur noch die Grundmauern stehengeblieben. Das von einer serbischen Familie bewohnte Nachbarhaus ist hingegen unversehrt. Die Wohnungseinrichtung ist nicht angetastet, lediglich einige Schränke sind durchwühlt. „Da wurde nach Waffen gesucht. Wir Bosnier brennen keine Häuser mehr ab“, sagt ein bosnischer Soldat und schießt eine Salve in die Luft.
Mit dem Rückzug der serbischen Truppen ist auch die serbische Bevölkerung geflohen. Keine einzige serbische Familie ist geblieben. In manchen Gärten sind liebevoll gehegte Rosen zu sehen. Hunde und Katzen streunen durch die Ruinen. In einem Haus stehen noch die Kaffeetassen auf dem Tisch, im Schlafzimmer sind die Betten gemacht. Die alltäglichsten Spuren liefern Hinweise auf das, was geschehen ist. Wie zum Beispiel das serbische Graffito auf einem Holztisch: Das Zeichen der Muslime ist mit jenem der Serben und der Kroaten ineinander gezeichnet. Die Summe ist Bosnien und Herzegowina. „Bumm“ steht darunter: das wird kaputtgemacht!
„Die 800 serbischen Soldaten hier waren hoch gerüstet, sie haben aber wohl unseren Angriff nicht erwartet.“ Djemo Causević ist Kommandeur der 511. Brigade der bosnischen Armee, die den nördlichen Teil Bosanska Krupas über drei Jahre verteidigt hat und nun den östlichen Teil Westbosniens zurückerobern will. „Wir sind seit dem 15. September von Bihać aus nach Süden vorgestoßen, um damit die serbischen Truppen in Bosanska Krupa vom Rücken her anzugreifen.“ Die serbischen Truppen seien dann wenige Tage später eingekesselt worden. „Wir haben den Angriff für einige Stunden unterbrochen, um den Zivilisten die Gelegenheit zu geben, das umkämpfte Gebiet zu verlassen.“ Der ehemalige Direktor einer Möbelfabrik gibt sich zufrieden: „Sie waren nicht mehr in der Lage, Verteidigungsstellungen aufzubauen.“
Die bosnischen Truppen sind inzwischen über Otoka bis Bosanski Novi entlang dem Una-Fluß vorgestoßen und haben auch diese Stadt vor zwei Tagen eingenommen. Das südöstlich gelegene Prijedor wird nun belagert. Nach der Rückeroberung von Bosanski Petrovac und Kljuć käme es nun darauf an, sagt der Kommandant, diese Gebiete abzusichern. Emir Z., ein ehemaliger Student der Elektrotechnik, ist vor einem Jahr aus der Armee entlassen worden, weil er beim Fernsehen in Bihać Journalist geworden ist. Vorher war er in Bosanska Krupa eingesetzt. Die Straße entlang der Una in Richtung Bihać ist von wucherndem Gestrüpp schmal geworden. „Damals war das ein Glück, da bot das Gestrüpp Schutz, denn ich mußte hier in der Schlucht zu Fuß gehen, die Serben saßen ja oben und konnten jederzeit auf uns schießen.“ Das Geheimnis der serbischen Niederlage besteht für ihn darin, daß sie „ihren Kick verloren haben“. Die Offiziere hätten ihre eigenen Leute verheizt. „Als wir im letzten Juli ihren Brückenkopf auf unserer Seite des Flusses angegriffen haben, ließen die serbischen Offiziere die Behelfsbrücke sprengen. So saßen die 130 serbischen Soldaten des Brückenkopfes in der Falle.“ Nur 28 von ihnen hätten überlebt, sagt Emir. „Auch wir hatten viele Tote. Die serbischen Soldaten sind verraten worden.“
In Bihać steht den Menschen die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. In den Geschäften und Kiosken werden seit der Befreiung am 7. August wieder Waren des täglichen Bedarfs angeboten. Marlboro-Schachteln und Coca Cola-Flaschen sind zu Türmen hinter den Schaufensterscheiben aufgebaut, als solle demonstriert werden, daß Bihać nun wieder zur Welt gehört. Obst und Gemüse werden auf der Straße angeboten. Und die Offensive der Armee verleitet manche heimkehrenden Soldaten dazu, auch hier „Freudenschüsse“ in die Luft abzugeben. „Wenn es da nur keine Verletzten gibt“, seufzt ein Wachsoldat am Eingang der Kommandantur.
„Wir sind jetzt in der Lage anzugreifen, weil wir dem Gegner viele Waffen abgenommen haben.“ Doch der Wachsoldat verschweigt, was hinter vorgehaltener Hand in Bihać alle erzählen. Danach steckt Fikret Abdić, der abtrünnige Führer von Velika Kladusa, einer Stadt im Norden der Enklave von Bihać, hinter der Aufrüstung des 5. Korps der bosnischen Armee. Seit 1993 hatte er mit der serbischen Seite kollaboriert. Bei der Befreiung von Bihać war er festgenommen und in ein Hotelzimmer in Zagreb gesperrt worden. Jetzt wolle er sich und seinen Anhägern, die in einem Flüchtlingslager in Kroatien unter elenden Bedigungen vegetieren müssen, die Freiheit erkaufen. „Abdić hat uns viele Waffen hinterlassen, ich habe allein 70 Panzer gesehen und eine große Halle voller Artillerie. Von der Munition, die in Velika Kladusa gelagert war, ganz zu schweigen“, berichtet ein Augenzeuge.
Atif Dudaković, der Kommandant des 5. bosnischen Armeekorps gilt bei seinen Soldaten als militärisches Genie. „Endlich kann er zeigen, wozu die bosnische Armee fähig ist. Der hat auch in den schlimmsten Zeiten nie die Nerven verloren“, sagt ein Offizier. „Das Waffenembargo hat uns arg geschadet. Hätten wir schon früher genügend Waffen gehabt, der Tschetnikterror wäre schon längst beendet worden“, erklärt ein anderer Offizier.
Den Nachrichten über einen Stopp der Offensive, der von den bosnischen und kroatischen Präsidenten Tudjman und Izetbegović am 19. September ausgehandelt worden sei, möchte Atif Dudaković noch nicht glauben. „Die Armee hält sich an die Vorgaben der Politik“, erklärt er knapp. Sie sei bereit, notfalls bis „Belgrad oder Pristina“ zu marschieren. Sie sei aber auch bereit, ihre Offensive zu stoppen.
Er läßt aber keinen Zweifel daran, daß er als Mitglied des Generalstabs der bosnischen Armee Teillösungen für wenig fruchtbar hält. Bosnien und Herzegowina will er von den „Superfaschisten“, wie er sich ausdrückt, befreit wissen. Den „legalen Institutionen und dem Recht soll wieder Geltung verschafft werden“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen