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Keiner will für die Armen zahlen – also wird gespart. Möglichst unauffällig. Der Bundesrat debattiert heute über die Sozialhilfereform. Die SPD wird die harte Version zwar verhindern – vor Ort sind die Kürzungen aber schon längst zu spüren.

Magere Diäten für die Armen

Wenn sich die Mitglieder des Bundesrates heute über die „Sozialhilfereform“ ereifern, haben die Kürzungen in vielen Städten und Gemeinden längst begonnen. „Die Leute haben jetzt schon im Monat 100 Mark weniger zum Leben“, berichtet Jochen Meurers, Vorsitzender der Lobby für Wohnsitzlose aus Frankfurt. Dort haben die Sozialämter bereits alle sogenannten freiwilligen Leistungen gestrichen. Es gibt nur noch eine geringe Strompauschale, niedrigere Kleiderpauschalen, Schränke nur noch aus der Möbelkammer. So wie im Alltag auf den Sozialämtern, so werden die Kürzungen auch in der Politik daherkommen: häppchenweise, möglichst unauffällig.

Nach dem Gesetzentwurf des CSU-Gesundheitsministers Horst Seehofer, der heute im Bundesrat diskutiert wird, sollen die Sozialhilfe-Regelsätze bis 1999 an die Nettolohnentwicklung angebunden werden und nicht mehr an die Steigerung der Lebenshaltungskosten. Das klingt harmlos, bringt laut Seehofer aber angeblich eine Milliarden Mark Einsparungen im Jahr. Von 1999 an will der Minister die Regelsätze neu festlegen.

Da die Sozialhilfereform zustimmungspflichtig ist im SPD-dominierten Bundesrat und dort höchstwahrscheinlich abgelehnt wird, dürfte am Ende nur der kleinste gemeinsame Nenner aus Seehofer-Plänen und SPD-Gegenentwürfen umgesetzt werden. Die Sozialdemokraten haben sich bereits gegen die Koppelung der Regelsätze an die Nettolohnsteigerungen ausgesprochen. Sie möchten statt dessen weiterhin die Verbrauchsstatistik der unteren Einkommensgruppen als Maßstab beibehalten. Auch die gesetzliche Festschreibung eines Lohnabstandsgebots von 15 Prozent zu den unteren Einkommensgruppen wird von der SPD verworfen. Ebenso wie die Verpflichtung der Kommunen, die Sozialhilfe verbindlich um 25 Prozent zu kürzen, wenn ein Armer einen angebotenen Job ablehnt.

Wie aus SPD-Kreisen verlautete, hat hingegen die Deckelung der Heim-Pflegesätze, durch die Seehofer den Kommunen jährlich 1,25 Milliarden Mark sparen will, gute Chancen, zumindest im Westen verwirklicht zu werden. Auch die Pauschalierung von sogenannten einmaligen Leistungen (Kleider, Möbel) und die Lohnzuschüsse für Sozialhilfeempfänger, die einen Job annehmen, stößt bei den Sozialdemokraten auf keinen Widerstand.

Sehr schwierig aber werden die Verhandlungen über die Beschäftigungsförderung. Nach Seehofers Plänen sollen die Sozialämter für ihre Klientel künftig die Arbeitsämter mit Weiterbildungskursen, Jobvermittlung und Lohnkostenzuschüssen beauftragen. Der Knackpunkt dabei: Die Sozialhilfeträger müßten dann auch die Kosten für solche Beschäftigungsförderung tragen. Der Minister will überdies die Arbeitsentgelte für Behinderte in Werkstätten anheben. Der Seehofer-Entwurf berge für Städte und Gemeinden die Gefahr, „daß die Sozialhilfe-Lasten noch wachsen“, warnt Ludwig Fuchs, Sozialreferent des Deutschen Städtetages.

Die SPD hat einen Gegenvorschlag, der aber wiederum teurer ist für die Arbeitsämter. Nach ihren Vorschlägen sollen SozialhilfeempfängerInnen grundsätzlich an allen Fördermaßnahmen der Arbeitsämter teilnehmen können. Die Sozialämter sollen dafür zwar einen Beitrag entrichten, der aber wäre deutlich niedriger als die Kosten. Grundsätzlich wollen die Sozialdemokraten die „vorrangigen Sicherungssysteme verbessern“: Jobförderung durch die Arbeitsämter, mehr Wohngeld, mehr Kindergeld, so daß Gefährdete gar nicht erst unter die Armutsschwelle sacken. Doch damit würden finanzielle Lasten von den Städten und Gemeinden auf den Bund und die Länder verschoben. Und die sind nicht weniger knauserig.

Bei der Sozialhilfereform müssen die großen Parteien um einen Kompromiß ringen – die Reform der Arbeitslosenhilfe hingegen kann von der Regierungskoalition allein durchgesetzt werden, da das Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist. Diese Reform soll demnächst im Kabinett vorgestellt werden und zum April nächsten Jahres in Kraft treten. Danach wird die Arbeitslosenhilfe alle drei Jahre „zeit- und situationsgerecht“ herabgestuft – mit dem Argument, das Niveau der erreichbaren Jobs sinke mit den Jahren der Arbeitslosigkeit. Den Arbeitsämtern werden entsprechende Standardisierungen an die Hand gegeben. Außerdem soll das Vermögen von Arbeitslosenhilfebeziehern und ihren Ehegatten künftig auch mit Hilfe der Finanzämter überprüft werden. Damit will Blüm sicherstellen, daß die Betroffenen tatsächlich nicht über mehr Geld als den Freibetrag (bisher 8.000 Mark plus selbstgenutztes Haus und Auto) verfügen.

Die konkreten Neuregelungen mögen noch vergleichsweise harmlos wirken, Armutsexperten befürchten aber vor allem die negative Tendenz. Lobby-Vorsitzender Meurers: „Die Pläne Seehofers weisen in die Zukunft. Der Minister weiß: der Höhepunkt der Armutsentwicklung ist noch gar nicht erreicht.“ Barbara Dribbusch

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