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Naivität ohne Parteigrenzen

■ Die Abschiebung der Sudanesen bleibt Skandal

Jetzt haben alle ihren Skandal. Die Bundesregierung, die sieben Asylbewerber aus dem Sudan in ihr Heimatland zurückgeschickt hat – allein auf Grund der nicht zu überprüfenden Zusage der dortigen Militärregierung, es werde ihnen schon nichts passieren. Und die Bonner Opposition, die ihre Kritik an diesem Justizskandal eingestellt hat, weil die Wochenzeitschrift Stern in Khartum erfahren haben will, es handele sich bei vier der sieben nicht um politisch Verfolgte, sondern um Wirtschaftsflüchtlinge.

Wer beweist hier die größere Naivität? Das Militärregime im Sudan gilt als einer der schlimmsten Menschenrechtsverletzer der Welt. Mit der Stimme der deutschen Regierung wurde es bei der letzten UN-Menschenrechtskonferenz dafür verurteilt. Der Berichterstatter der UNO schreibt, daß „alle Gruppen und Schichten der Bevölkerung potentiell von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind“. Dreien der sieben Sudanesen wurden während ihres Aufenthaltes auf dem Rhein-Main-Flughafen Folterspuren bescheinigt; sie erklärten sich als Oppositionelle, sorgten sich um inhaftierte Verwandte. Seit den blutig niedergeschlagenen Demonstrationen der letzten Woche hält ein massives Aufgebot von Sicherheitskräften in Khartum die Ruhe aufrecht. Die Mehrzahl der Bewohner der Hauptstadt leben in Angst vor Verhaftung, Schikanierung, Zwangsrekrutierung für die Bürgerkriegsfront im Süden und Zwangsdeportation in Wehrdörfer in der Wüste.

Und da erwarten deutsche Politiker und Journalisten, daß ihnen ein Familienvater in Khartum bestätigt: Ja, mein Sohn ist in der illegalen Opposition tätig? Ja, ich sage Ihnen etwas, womit ich das Leben meines eben mit Gewalt nach Khartum zurückgebrachten Kindes und dazu mein eigenes aufs Spiel setze? Da soll der mehrmals inhaftierte Führer einer verbotenen Partei die sieben als Oppositionelle reklamieren und damit noch weiter gefährden?

Die Familienväter und -mütter und die Oppositionsführer Sudans denken natürlich nicht daran, so idiotisch zu handeln. Sie folgen dem in einer Diktatur selbstverständlichen Gebot des Selbstschutzes und der Solidarität. Sie denunzieren die gefährdeten Menschen nicht, sondern versuchen, sie zu entlasten. Aber als entlastet gelten in Deutschland jetzt nicht die Sudanesen, sondern das Innenministerium. Vielleicht reicht in Zukunft ja die Weigerung von Familienangehörigen, sich per Solidaritätserklärung ans Messer zu liefern, als Ablehnungsgrund für Asylbewerber aus. Dominic Johnson

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