piwik no script img

■ Straßmanns kleine WarenkundeDer Fahrradhelm

Leute treten auf, und sie haben tausend und abertausend Mal recht. Sie haben Moral, Vernunft und am Ende auch das Gesetz auf ihrer Seite. Sie tragen Fotos von zerspratzten Schädeln in der Hand. Sie haben rote Flecken am Hals. Die kommen vom Engagement. Und doch.

Und doch steigen Menschen aufs Rad, brausen los, daß ihnen der Fahrtwind die Mähne scheitelt, braten durch Fußgängerzonen, brutzeln durch Blechlawinen. Sie erreichen (mit zerspratzten Köpfen? egal!) die Kiesgrube, baden, saufen, knutschen. Erschrecken den überaus seltenen getüpfelten Sprenkling. Treten die Rote-Liste-Orchidee platt. Legen sich mit der Unteren Naturschutzbehörde an. Lalülala, da kommt die Polizei. Das kommt davon!

Wer dagegen einen Fahrradhelm trägt, hat ihn verdient. Der Fahrradhelm ist tropfenförmig oder quietschfarben oder ein Topf ohne Henkel. Seine Herkunft aus dem Reich der Schwerstbehinderung will er nicht verleugnen. Wenn Schwerstbehinderte Kniehelme trügen, gäbe es morgen eine Kniehelmpflicht für Radfahrer. Der unbefangene Betrachter muß denken, daß in unseren Innenstädten auffallend viele Schwerstbehinderte mit Rädern unterwegs sind. In ihren Gesichtern zeichnen sich intellektuelle Überlegenheit und eine hohe Moral ab. Der unbefangene Beobachter wird aber keine andere Schwerstbehinderung entdecken können als die von intellektueller Überlegenheit und hoher Moral entstellten Gesichtszüge.

Den Herstellern ist das Imageproblem des Fahrradhelms bekannt. Sie engagieren hochkarätige Modefotografen. Sie ziehen Tour-de-France-Radler aus der Tasche, die mit Fahrradhelm gesehen wurden. Sie setzen auf jenen geheimnisvollen Marktmechanismus, dem sich auch die Renaissance der Schlaghose verdankt. Doch was passiert? Eines fernen Tages werden selbst Realschullehrer Schlaghosen tragen – und doch werden die Fahrradhelme noch wie Blei in den Regalen liegen. Eigenartigerweise nämlich verzichten selbst Menschen auf einen Fahrradhelm, die jüngst einen Unfall mit Kopfschaden hatten. Solche Fälle sind nicht selten und sogar verbürgt. So verbohrt sind die Menschen! Und lachen der Solidargemeinschaft frech ins Gesicht.

Nichts auf der Welt kann sich durchsetzen, das nicht in einem Gedicht vorkommen könnte. Bis zum Beweis des Gegenteils behaupte ich: „Fahrradhelm“ wird nie in einem Gedicht vorkommen. Ich warte. BuS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen