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Ein seltsames Traumduo im Osten

CDU-Spitzenkandidat Elmar Pieroth hat als Außenseiter in Hellersdorf gegen die PDS-Landeschefin Petra Pau keine Chance. Mit Ostsensibilität und Macher-Attitüde will er sie nutzen  ■ Von Gunnar Leue

„Sagen Sie mal, sind Sie immer so ruhig und sachlich, oder hat der Wolf nur Kreide gefressen?“ fragt ein älterer Herr aus dem Publikum den Christdemokraten Elmar Pieroth. Der befindet sich seit knapp zwei Stunden im Wahlkampfduell mit der Berliner PDS-Chefin Petra Pau, die wie er in Hellersdorf für ein Abgeordnetenhaus-Direktmandat antritt. Die Atmosphäre auf dem Podium im winzigen Kulturforum ist entspannt, von Wahlkampfgezänk oder gar Beleidigungen keine Spur. Das „Streitgespräch“ ist von einem solchen weit entfernt. Selbst als das Dauerthema Investruinen aufkommt, kontert die PDS-Frau den Finanzsenator nicht aus, wie sie es noch einige Tage zuvor im lokalen Anzeigenblatt gemacht hatte. Da entgegnete sie nämlich auf Pieroths überschäumenden Veränderungswillen, daß gerade seine Finanzbehörde bisher die Lösung des Problems blockiert hätte.

Während CDU-Wahlkampfmanager Radunski zum scharfen Marsch gegen die „zukunftsgefährdenden Kommunisten“ bläst, scheint die Konfliktbereitschaft zwischen den Spitzenkandidaten von CDU und PDS in Hellersdorf eher abzuflauen. Lieber sendet die 32jährige Sozialistin Floskeln wie „Da sind Sie eine löbliche Ausnahme“ oder „Das ist kein persönlicher Angriff gegen Sie“ an ihren fast doppelt so alten Duellanten. Der steht nicht nach und betont in väterlich-besorgtem Ton immer wieder die Notwendigkeit, etwas „gemeinsam für die Menschen hier zu machen“. Allerdings läßt er auch keinen Zweifel, daß gerade er der gefragte Machertyp ist – ob es um die Wasserabsenkung im Siedlungsgebiet geht, das Werben von Investoren oder um die Änderung des Ladenschlusses. Egal, was es an Problemen in Berlins jüngstem Bezirk gibt – Elmar Pieroth war mit seinen Ideen schon da.

Der Finanzsenator mit Wohnsitz am Wannsee traut sich viel zu, vor allem aber: er traut sich was. CDU-Spitzenkandidat in der absoluten PDS-Hochburg Hellersdorf, wo die Union bedeutungslos ist (17 Prozent bei der Bundestagswahl 1994)! Dazu der Heimvorteil seiner in Hellersdorf geborenen Hauptgegnerin Petra Pau. Seit Monaten pendelt Pieroth regelmäßig nach Hellersdorf. Nicht nur das, mutig erbittet er gar Eintritt in die CDU-Sperrgebiete. Pieroth besucht Sonntagnachmittag unangemeldet Einheimische, um bei Kaffee und Kuchen ihre Sorgen zu erkunden. Rausgeschmissen hat ihn noch keiner.

Warum auch. Probleme hat der Bezirk so viele, daß sie für alle Politiker reichen. Es gibt zu wenige Arbeitsplätze und Kulturangebote hier, das Schlafstadtimage haftet hartnäckig. Das weiß Petra Pau als Bewohnerin natürlich am allerbesten. Schon lange mahnt sie deswegen, die „vielen Herausforderungen verdienen es nicht, im Parteiengezänk unterzugehen“. Vor allem mit den Ängsten der Mieter kennt sie sich aus, die Privatisierung von Wohnungen gehört zu den Hauptsorgen der Leute.

Die PDS hat das rasch erkannt und schon 1993 verlangt, daß ein Mietervertreter in den Aufsichtsrat der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf gewählt wird. Wer das seinerzeit ablehnte, war Finanzsenator Pieroth. Heute rühmt er sich, für die Kooptierung eines Hellersdorfer Bürgers in den Aufsichtsrat gesorgt zu haben.

Auch sonst gibt sich Elmar Pieroth als der große Kommunikator. Inzwischen kennt er Hinz und Kunz, begrüßt bei der Wahlkampf- Talkrunde die „Frau Jander da hinten in der Ecke“ und erinnert den anwesenden „Bäckermeister Hempel“ an den gemeinsamen Sorgenplausch. Soll zeigen, der Kiez ist ihm vertraut, die Probleme sowieso. Als Finanzsenator will er schnell Abhilfe schaffen, ohne sich freilich auf Versprechungen einzulassen. Wenngleich er gern kokettiert, im Westen könne er sich wegen seines Ost-Engagement „ja schon gar nicht mehr sehen lassen“. Pieroth predigt unermüdlich den Aufschwung herbei. Für die notwendigen Investoren sorgt er notfalls auch persönlich. Zum Beispiel für eine privatfinanzierte Schwimmhalle: „Daran arbeite ich.“ Im kleinen überredete er schon mal eine befreundete Firma, einen alten Kindersandkasten umsonst zu erneuern.

Sein grenzenloses Selbstvertrauen ist insofern angebracht, als er auf die CDU in Hellersdorf – mangels Masse und Klasse – nicht groß bauen kann. Trotzdem hat's die Landeschefin der Pessimistenpartei PDS nicht leicht. Weil Pieroth seinen allgemeinen Verbaloptimismus oft mit konkreten Beispielen für Verbesserungen – meist als Selbstlob verpackt – garniert. Wo das nicht klappt, wie beim Thema Altschuldenpackung für die Wohnungsbaugesellschaften, zieht er sich auf schwer zu kontrollierende Aussagen zurück. So hätte er die Bonner Regelung nur notgedrungen akzeptiert und noch das Beste für Ostberlin herausgeholt. Bei dem Punkt klettert die mit wenig Temperament gesegnete Petra Pau doch ein paar Zentimeter auf die Palme und geißelt die Altschuldenregelung als klaren Fall politischer Nachtreterei. Als sie den Unionsmann zudem auf seine übergroße Unternehmerfreundlichkeit anspricht, fällt der das einzige Mal aus seiner Rolle des netten, verständnisvollen Westlers und zieht über die SED- Parteischulvergangenheit der Kontrahentin her.

Zwei Wochen später beim eigentlichen Showdown im Kulturforum ist davon keine Rede mehr. Wenn schon ärgern, dann gemeinsam, lautet offenbar die Devise. Pieroth bedauert besonders, daß die Wessis den Ostlern zu wenig zuhören und demonstriert Besserung. In Hellersdorf habe er eine andere Sicht auf die Dinge bekommen, er hofft auf einen Ausweg aus der Egoistengesellschaft.

Da kann Petra Pau schwer widersprechen. Schließlich will auch sie eine Alternative zum jetzigen Gesellschaftszustand. Es scheint, daß sich wohl immer mehr Hellersdorfer Pieroth und Pau als Doppelspitze für den Bezirk vorstellen könnten. Selbst wenn der CDUler nicht ins Parlament gewählt wird, kann das seltsame Traumduo für Hellersdorf streiten. Denn „wenn der Himmel nicht runterfällt, werde ich wieder Senator“, verkündet Pieroth. Als Zeichen seiner neuen Verbundenheit hat er bereits um Aufnahme beim CDU- Kreisverband ersucht.

Die Anpassung an die neuen zwischenparteilichen Verhältnisse gelingt ihm gleichfalls immer besser. Gerade erst sagte er seine Teilnahme an einem vom PDS-Sozialstadtrat initiierten Fußballturnier der Hellersdorfer Parteien zu. Das findet übrigens am 7. Oktober statt – dem 46. Jahrestag der DDR- Gründung.

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