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Wild auf die zweite Liga!

Es gibt Menschen, die interessieren sich richtig für Fußball. Für das, was auf dem Platz passiert. Jenseits von „ran“! Die gute Nachricht: Heimlich hat sich die zweite Bundesliga zur Alternative entwickelt für diese Spezies, die vom medialen Rummel um das Oberhaus nur noch genervt ist  ■ Von Christoph Biermann

Niemand mag dieses häßliche Entlein des deutschen Fußballs. Allein der Name verspricht Minderwertigkeit, Versagen und mangelnde Attraktivität – Zweitklassigkeit eben. Wer will das schon? Weshalb die Beschwörungen der Anhänger von abstiegsgefährdeten Bundesligisten auch einen zutiefst inbrünstigen Klang haben: „Niemals zweite Liga! Niemals, niemals!“ Ängstigen sie sich doch vor vermeintlicher Langeweile und Trostlosigkeit, deren Protagonisten – oh je – Meppen, Jena, Zwickau oder Unterhaching heißen. Doch, halt! In Wirklichkeit ist die zweite Liga in ihrem 22. Jahr klammheimlich zur Alternative für die vom Erstliga-Rummel Entnervten geworden.

Seit die Bundesliga fest im eisernen Griff der Modernisierer steckt und alles der Logik des Geschäfts untergeordnet hat, erscheint einigen Fans die zweite Liga als ökologische Nische. Sogar denen, die gerade erst „Nie mehr zweite Liga!“ gejubelt haben. In der letzten Ausgabe des FC-St.-Pauli-Fanzines Übersteiger wurden bereits die Folgen der wiedergewonnenen paulianischen Erstklassigkeit beklagt: „In der ersten Liga wird es noch schwerer werden, sich mit kritischen Gedanken überhaupt bemerkbar zu machen. Der Vereinnahmungsprozeß der totalen Kommerzialisierung wird auch uns erfassen. Andersartigkeit wird hier nicht mehr geduldet, Gleichschaltung ist das Stichwort.“ Und dann zitiert der Autor noch einen tief frustrierten Anhänger des TSV München 1860, der sich wünscht: „Hoffentlich steigen wir wieder ab!“ Denn erst der Rücksturz der Löwen in die Zweitklassigkeit würde die Rückkehr aus dem Exil des Olympiastadions ins heimische Stadion an der Grünwalder Straße ermöglichen.

Die Macher des VfL-Bochum- Fanzines VfouL begrüßten den Abgang ihres Klubs in die zweite Liga mit der Schlagzeile „die neue Lust auf Abstieg“ und lieferten „elf gute Gründe für die zweite Liga“. Dann zogen sie sich ins Tonstudio zurück und nahmen unter dem Titel „Ganz wild auf die zweite Liga“ eine CD auf.

Dieser Gesang ist zwar ironisch gemeint, aber es ist was dran am Zweitligaspaß. Jenseits der Bundesliga hat das Stadionerlebnis weniger mit den Erlebnisparkphantasien vieler Erstliga-Manager zu tun, sondern ist direkter, netter und charmanter. Wer's nicht glaubt, sollte einen Fußballnachmittag im Emslandstadion verbringen, wo eine Blaskapelle den SV Meppen nach vorne treibt. Gemütlich von der Würstchenbude aus einem Heimspiel von Wattenscheid 09 zuschauen oder auf den Rängen des Südstadions den defätistischen Kommentaren der Besucher des SC Fortuna Köln lauschen, die ihren Spielern beim Einwurf auch mal zurufen: „Komm, das kannst du doch!“

Aber nicht nur die gemütliche oder bizarre Atmosphäre mancherorts ist reizvoll, auch der Kick auf dem Rasen macht mehr Vergnügen als gemeinhin vermutet. „Die spielerischen Unterschiede zur Bundesliga sind kleiner geworden“, urteilt Gerd Roggensack, Trainer des VfL Wolfsburg. Und Roggensack (53) , der nach neun Spielzeiten als Zweitligatrainer die Klasse am besten kennt, nennt auch Namen heimlicher Zweitligastars, die „in der Bundesliga eine gute Zukunft hätten“. Er lobt Jenas „hochveranlagten“ Spielmacher Schneider, Leipzigs Mittelstürmer Rische, Unterhachings Manndecker Grassow, Bochums Torwart Gospodarek oder Wattenscheids Mittelfeldmann Reina. Aber nicht allein die gestiegene Zahl junger Talente oder das inzwischen durchgängige Vollprofitum hat nach Roggensacks Ansicht die Qualität des Zweitligafußballs gehoben, sondern auch die Regeländerungen zum Schutz der Spieler.

Seit nicht mehr hemmungslos von hinten in den Gegner gegrätscht werden darf, ist die ehemalige „Klopperliga“ gezähmt. „Es wird zwar immer noch härter hingelangt, aber es ist längst nicht mehr so schlimm.“ Auch taktisch sieht Roggensack die zweite Klasse auf der Höhe der Zeit, wobei ihm auch Daniel Jurgeleit (31) zustimmt. Der Toremacher des VfB Lübeck, mit mehr als 330 Zweitliga-Einsätzen ihr aktueller Rekordspieler, befindet: „Inzwischen gibt es mehr taktische Varianten. Früher waren es nur zwei: Entweder früh angreifen oder hinten reinstellen.“

Trotz Steigerung der sportlichen Qualität und der gestiegenen Sehnsucht vieler Fans nach einem weniger entfremdeten Fußballerlebnis, bleibt die zweite Liga ein Sorgenkind. „Für uns ist sie zwar sehr attraktiv, aber es fehlt die Konstanz“, beklagt Wolfgang Gersmann, Präsident des SV Meppen. Drei Aufsteiger in die Bundesliga und vier Absteiger in die Regionalligen sorgen dafür, daß die Liga zur Durchgangsstation wird und „zu heterogen“ ist, wie DFB-Ligasekretär Wolfgang Holzhäuser meint. Er weiß auch um die finanziellen Nöte der Zweitligaklubs. Holzhäuser sieht die Klasse „unter vermehrtem Druck durch die Bundesliga und die Regionalligen“. Der Boom in der Bundesliga „gibt Kosten vor, die in der zweiten Liga nicht gehalten werden können“. Und in den wenig kontrollierten Regionalligen verschleudern Mäzene ihr Geld und sorgen über schwarze Kassen für Bezahlungen, bei denen viele Zweitligisten nicht mithalten können.

Deshalb greifen die Zweitliga- Manager begierig nach jeder Mark, so daß die Liga doch keine kommerzialisierungsfreie Insel der Seligen geblieben ist. Zur Freude von Daniel Jurgeleit hat das Fernsehen die zweite Liga entdeckt. Im Gegensatz zu früher: „Da habe ich in sechs Jahren 59 Tore für Union Solingen geschossen und habe davon nur fünf auf Video.“ Das ist jetzt anders. Vor allem seit sich das Deutsche Sportfernsehen (DSF) mit seinen Live-Übertragungen auf dem Markt positioniert hat. Rund dreißig Spiele wird das DSF in dieser Saison montags (20.15 Uhr) übertragen. Der Heimverein erhält dafür 105.600 Mark, der Gast 86.400 Mark. Voraussetzung für eine Übertragung ist neben einer Flutlichtanlage im Stadion, die sechs von 18 Zweitligisten nicht haben, die Aussicht auf „wenigstens ein paar Zuschauer“, wie DSF- Chefredakteur Rudolf Brückner erklärt. Und spielerisch sollen die Partien auch etwas versprechen, schließlich meint Brückner, „kriegt man bei einigen Spielen schon das Grausen“.

Den vehementen Protest gegen die Montagsspiele mit Aufruf zum Boykott der DSF-Werbekunden, zu dem im letzten Jahr Anhänger des FC St. Pauli aufriefen und dem sich Fans andernorts anschlossen, kann er „aus deren Sicht schon verstehen“. Die Verlegung der Spiele auf den Wochentag macht vielen auswärtigen und jungen Fans den Spielbesuch unmöglich. Aber „die Quote spricht für sich“ (Brückner), je nach Attraktivität der Partien sehen zwischen ein und zwei Millionen Zuschauer die Spiele. Der VfB Leipzig, gerade der trostlosen Weite des Zentralstadions entflohen, bot dem DSF für Übertragungen sogar die zwischenzeitliche Rückkehr an, weil es dort das notwendige Flutlicht gibt. Da auch der DFB aus „sportpolitischen Gründen“ (Holzhäuser) den möglichen und zuschauerfreundlicheren Samstagabend nicht für Live- Übertragungen aus der zweiten Liga freiräumen will, wird der Streit zwischen Fans und DSF weitergehen.

Seinen Spaß kann man jedenfalls haben in der zweiten Liga. Denn gerade der fehlende Glamour, das Sorgenbehaftete und der fehlende Trubel um das zerrupfte Entlein läßt den Blick auf einen Fußball fallen, der in gewisser Weise menschlich tröstend ist, wie Daniel Jurgeleit weiß: „Da passieren einfach mehr Fehler.“

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