: Alles so schön bunt hier
■ Das überschäumende Schwappen von Leben und Kunst beim „1/4“-Fest im Treib- bzw. Lagerhaus und umzu
Leicht hätte es passieren können: Da strömen die Massen vergnügungswillig mit Pfandbierbecher in der einen und Brotzeit in der anderen Hand anläßlich des „1/4-Festes“ durchs Viertel, nur die Lagerhaus-Crew steht am Rande und schaut traurig aus der Wäsche, weil niemand auf die Idee kommt, daß in der etwas unscheinbaren Schildstraße auch noch Fest sein könnte. Deshalb hatte man heftigst die Treibhaus-Party angekündigt. Mit Bands, DJs, Straßentheater, Kinderquatsch, Performance, Video und ähnlichem wurden die zahlreichen Treibhaus-BesucherInnen von vorne bis hinten bedient, so daß einiges zwangsläufig unterging unter dem, was gerade lauter war.
Dieweil diverse Videos das fest mit flackernden Farben und Formen illuminierten, rackerten sich diverse Bands auf den Treibhausbühnen ab. Bei den crossovernden Bremer Klischee-HipHoppern „Nu Prophets“ hieß es schon beim Soundcheck „One, two, three – motherfuck“, während die als schwitzig angepriesenen „E-Salam“ aus Marokko eher relaxt rüberkamen und den meisten Applaus einheimsten, als sie ihre Pause ankündigten.
Etliches suchte man vergeblich. Für die Abwesenheit des Straßentheaters „Get a Grip“ war ein Unfall verantwortlich, aber warum am Samstag kein einziger Teufel im Café sein Unwesen trieb, blieb ungeklärt. Dabei waren als Vorgeschmack auf ein dortiges Höllen-Happening am 27. und 28. 9. dampfende Häupter, Höllenwesen, Fratzen und köstliche Verwirrung angekündigt. Leider blieb das Gruseligste der köstlich verwirrte Geselle, der während des „T. E. V. O.“-Auftritts in ohrenbetäubender Lautstärke und mit beeindruckender Ausdauer „Jetzt gehts lohooos!“ ins Rezensentenohr brüllte, obwohl der Auftritt längst losgegangen war. „T. E. V. O.“ aus Essen spielten Techno in beinahe traditioneller Bandbesetzung, was allerdings nur bewies, daß diese Musik nicht aufhört, stupide zu sein, nur weil der monotone Beat von einem echten Schlagzeug kommt und die Didjiridoo-Samples halt doch keine Samples sind. Den Techno-Jüngern gefiels denn auch ebenso gut wie von Platte, und so wurden kräftig die Arme in die Luft geschleudert. Wer nicht zuhören wollte, wandte seinen Blick den Wal- und Oktopus-Skulpturen zu, die im Glashaus ständig von der Decke hängen und sich größerer Resonanz erfreuten als die extra eingelegten Videos. Besonders beliebt auch das Pappmaché-Eichhörnchen, das im Schwarzlicht mit orangenem Fell und grünem Bauch gefiel. Man konnte es stundenlang ansehen und immer noch niedlich finden.
Draußen sollte auch Spaß gehabt werden: Die Fenster des Kontorhauses hatten sich weit geöffnet, um die Straße mit stampfender Tanzmusik zu beschallen, während auch hier selbstzweckhafte Farben und Formen über Fernsehbildschirme flimmerten. Gleißende Flackerlichter blendeten unschuldige Passanten, und hin und wieder sagte ein Fenster-Performer Merkwürdiges wie: „Der Dirigent. Öffnet. Den Mund.“ Dazu verkauften die Jungs und Mädchen vom Mutantenstadl Mutanten-Wodka und andere Getränke für Mutanten und solche, die es werden wollten.
Während im Glashaus gerockt oder geravet wurde, hatte kaum jemand ein Auge für die Videos, die dort über die Leinwand flimmerten. Dabei waren viele von ihnen preisgekrönt, nämlich mit dem „Prix Ars Elektronica“, der für die besonders hübsche Verbindung von Computer und Video vergeben wird. Es stellte sich dabei aber heraus, daß es soweit nicht her ist mit dieser vielbeschworenen medialen Verquickung: Die formell schönsten Beiträge waren inhaltlich belanglose Fingerübungen mit Formen und Farben, während man die gehaltvolleren Beiträge ebenso gut als Realfilme hätte realisieren können. Außerdem bekam man selten das zu sehen, worauf man sich per Programm eingestellt und vielleicht gefreut hatte: Stand da beispielsweise „Horrorvideos“, gab es endloses Zeitraffer-Öffnen von Blumenblüten. Auch recht. Andreas Neuenkirchen
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