: „Dafür habe ich geblutet“
■ Am 1. Oktober beginnt für die Metaller die 35-Stunden-Woche, die Gewerkschaft feiert
Eine neue Ära beginnt. Ab 1. Oktober gilt in Metallbetrieben die 35-Stunden Woche. Seit 17 Jahren gefordert wird sie nun Realität. Das feierte die Bremer IG Metall am Samstag in der Neuen Vahr. Doch selbst in der Hochburg der Mercedeswerker blieb der durchschnittliche Metaller, um die 45 Jahre und männlich, zwischen Kindern und Frauen aus der Vahr am Nachmittag recht spärlich vertreten.
Noch bis 15 Uhr war bei Daimler eine samstägliche Sonderschicht gelaufen. „Eine von vier in diesem Jahr. Die Betriebsleitung wollte zehn“, sagt Gerwin Goldstein. Er ist Vertrauensmann bei Mercedes und muß am nächsten Wochenende ran. Auch das Weserstadion war für ihn keine Alternative zum Fest – „schließlich habe ich für die 35-Stunden-Woche selbst geblutet.“
Sechs Wochen lang sei er damals bei Mercedes ausgesperrt gewesen. „Aber der Kampf hat sich gelohnt.“ Allein bei Mercedes gebe es durch die Arbeitszeitverkürzung nun 1.500 neue Arbeitsplätze. „Das ist ein Erfolg“, auch wenn die Belegschaft wegen der Rationalisierung in den letzten Jahren von runden 16.000 auf 13.000 geschrumpft sei.
Lieber als die neue Regelung, nach der jeder Beschäftigte künftig an vier Tagen pro Woche je neun Stunden lang arbeitet, wären dem Karosseriebauer allerdings fünf Arbeitstage zu je sieben Stunden gewesen. Aber er tröstet sich: Für seine Familie kann er nun am Werktag den Großeinkauf erledigen. Und wenn die Einteilung der freien Tage günstig fällt, wird er an manchen Tagen gleich mittags etwas mit den Kindern unternehmen können. Oder mal ausschlafen, nach der langen Schicht.
Forderungen nach weiterer Flexibilisierung kann Goldstein ebensowenig verstehen wie alle anderen, die man fragt. Immerhin laufen die Maschinen bei Mercedes 18 Stunden am Werktag. „Man muß ja auch überlegen, wo die Autos hin sollen.“ Vertreter anderer Betriebe waren kaum gekommen.
Eine Ausnahme: Karin Apsel. Für die Ehefrau eines Metallers bei Gestra soll am 1. Oktober eine neue Epoche beginnen. Zehn Jahre lang war sie Hausfrau und Mutter, nun soll der freie Arbeitstag des Mannes ihre Chance werden, wieder in den Beruf einzusteigen – „oder wenigstens einen Kurs an der Volkshochschule zu machen.“
Nur für den Bremer IG Metallchef Manfred Muster ändert sich in auch in Zukunft nichts, sagt er. Beim Familienfest der Gewerkschaft sitzt er gemütlich am Kaffeetisch und schmaucht. „Die 35-Stunden-Woche rettet 7.500 Arbeitsplätze in Bremen“, hat er überschlagen – allerdings gingen in den vergangenen Jahren auch 10.000 Metallarbeitsplätze verloren. ede
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